Ein Werk, das mit einer Komplexität bestückt ist und zu den herausragenden russischen Romanen des 20. Jahrhunderts zählt. Es erfolgt ein Versuch, das Besondere an Michail Bulgakows (*1891 – †1940) Meister- und Lebenswerk festzuhalten, der die Gedanken sortieren und ordnen soll.
Unweigerlich nach den ersten Seiten entfaltet sich eine Anziehungskraft, die immer wieder nach diesem Buch greifen lässt. Ein unirdisches Wesen namens Voland, Professor für Schwarze Magie, nistet sich samt Gefolgschaft, bestehend aus Katervieh Behemoth, Asasello, Korowjew und Dienerin Gella, in Moskau ein und sorgt für Kuriositäten. Für Unerklärlichkeiten, für Verschwinden, Opfer und Tote. Schnell wird dem Leser klar, dass es sich hierbei um den Teufel persönlich halten muss. Jedoch nicht den Behörden, die natürlich Spione, Betrüger oder Landesfeinde in den neuen, ausländischen Besuchern sehen, die doch nur hypnotisieren.
Es entsteht Chaos, ständig werden immer mehr Moskowiter in die neue, hochmoderne Psychiatrie eingeliefert, mit Spritzen beruhigt. Auf die Spitze des Eisbergs treibt es Voland bei einer Theaterveranstaltung, in der er der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Es werden neben anderen Kabinettstückchen Geldscheine und Kleider verteilt, die sich wieder auflösen, ein Kopf abgebissen.
»Hm«, antwortete dieser nachdenklich, »sie sind Menschen wie andere auch. Sie lieben das Geld, aber das war schon immer so. Die Menschheit liebt das Geld, egal, woraus es gemacht ist, aus Leder oder Papier, aus Bronze oder Gold. Ein bisschen leichtsinnig sind sie vielleicht … Warum nicht … Manchmal klopft Barmherzigkeit in ihrer Brust … Gewöhnliche Menschen. Erinnern an die von früher, bloß die Wohnungsfrage hat sie verdorben.« Laut befahl er: »Setzt ihm den Kopf wieder auf.« (S. 157-158)
Was in dieser Nacht in Moskau weiter an Wunderlichem geschah, wissen wir nicht und werden’s auch nicht erforschen […]. (S. 270)
Neben Vollands Auftreten zeigen sich zwei weitere Handlungsstränge erkenntlich. Zum einen findet sich eine Neuinterpretation der Rolle von Pontius Pilatus, der bekanntlich seinen Anteil an der Liquidation von Gottes Sohn, Jesus, der hier Jeschua heißt, hatte. Der angeschlagene Pilatus, der nur Liebe für seinen Hund hat und an Schmerzen leidet, bereut allerdings hinterher die Verurteilung von Jeschua.
Zum anderen wäre da die dritte Ebene, die von der Hauptfigur, dem Meister handelt – sein verfasster Roman ist es übrigens, der die Geschichte von Pilatus erzählt – ein Roman im Roman also. Allerdings wurde dieses Buch von der Literaturkritik zerrissen, wodurch er Psychosen erleidet, seine Geliebte Margarita verliert und sich in eine Irrenanstalt einweisen lässt. Nur der Pakt mit dem Satan, den auch Margarita eingeht, die zur Hexe wird, sich für den »Frühlingsvollmondball« kaufen lässt, retten sie und ihn. Im Finale werden dann alle drei Handlungsstränge zusammengeführt, es kommt zur Versöhnung und Erlösung, während der Teufel sich samt Entourage, dem Meister und Margarita davon macht.
Betrachtet man das Leben von Bulgakow, der seinerzeit in der Sowjetunion unter Beobachtung stand und kaum etwas veröffentlichen durfte (Tagebucheinträge und Briefe, die unter dem Titel »Ich bin zum Schweigen verdammt« veröffentlicht wurden – Kritiken dazu bei Literaturen und Notizhefte – spiegeln das wider) lassen Parallelen zum Werdegang vom Meister erahnen. »Einen Schriftsteller erkennt man nicht am Ausweis, sondern an dem, was er schreibt. Was wissen Sie, welche Pläne in meinem Kopf herumschwirren?«, heißt es entsprechend an einer Stelle.
Insgesamt führt Bulgakow eine Gesellschaft zur Zeit des Stalinismus vor, die vorgibt, etwas zu sein, was sie nicht ist. Oder besser: Was ihr von oben vorgegeben wird zu sein und womit sie sich nicht anfreunden kann, auch deswegen korrupt agiert, verbotene Scheine lagert. Außerdem wird genauso der Kulturbetrieb durch den Kakao gezogen wie die überall verbreitete Bürokratie.
»Der Meister und Margarita« ist eine Mixtur aus Satire und Tragikomödie, die unterhaltsam sein kann, auch wenn nicht alle Verweise (»Faust«, Bibel, Dante) aufgrund der Intertextualität gedeutet werden können. Mit dem Phantastischen, Metaphysischen und Realen versus Irrealen lassen sich gleich mehrere Schwerpunkte erkennen. Es findet sich aber ebenso reichlich Humor, der wunderbar in Seitenhiebe versteckt ist. Hinzu kommt der Esprit in Bulgakows Schreibstil, den der Übersetzer Thomas Reschke grandios überliefert bekommt. Alles in allem: ein makelloses Prachtstück, das in Staunen versetzt.
[Buchausgabe: Bulgakow, Michail (2006): Der Meister und Margarita. Luchterhand Literaturverlag. 17. Auflage. Aus dem Russischen von Thomas Reschke. Titel der Originalausgabe: Мастер и Маргарита (1967). 491 Seiten. ISBN: 978-3-630-62093-0]
Eine tolle Rezension, besser hätte man es nicht auf den Punkt bringen können. Ich habe die Übersetzung von Thomas Reschke gelesen und bin jetzt noch mal dabei die von NItzberg zu lesen. Grandios. Meister und Margarita hat meinen Lieblingsbüchern den Rang abgelaufen. Bulgakow war ein Könner. Es gibt ja noch ein wunderbares Hörspiel, dass ich für wirklich gelungen halte.
Vielen Dank.
Kannst du bereits Vergleiche ziehen, inwieweit sich Nitzbergs und Reschkes Übersetzungen unterscheiden? Das würde mich mal brennend interessieren.
Ansonsten kann ich nur zustimmen: „Der Meister und Margarita“ gehört auch zu meinen absoluten Favoriten! 🙂
Liebe Grüße
http://www.vigilie.de/2012/michail-bulgakow-meister-und-margarita/
Mehr dazu an dieser Stelle: https://muromez.wordpress.com/2015/11/04/alexander-nitzberg-im-interview/
Ich habe das Buch vor etwa zwei Jahren gelesen und hatte zugegebenermaße zunächst etwas Schwierigkeiten damit. Just in dieser Zeit wurde es jedoch am Schauspiel Frankfurt inszeniert, ein fulminantes Stück, das mir die Augen geöffnet hat! Danach habe ich auch den Roman mit Gewinn gelesen.
Also mich hat es sofort gefangen und süchtig gemacht. Irgendwelche Hürden tauchten nicht auf. Alleine die Eingangsszene ist ein Brett, selten so einen genialen Beginn gelesen. Inszenierungen von dem Stück stelle ich mir spannend vor, alleine die Umsetzung. Für den Film scheint es ja fast nicht zu realisieren, mein ich.
Nun, ich nehme an, ein Theaterstück ist mindestens genauso schwierig wie ein Film, weil es nicht nur einen ebenso begrenzten Zeitrahmen hat, sondern noch begrenztere Mittel und einen noch begrenzteren Raum. Aber es ging (für meine Begriffe) ganz und gar auf, vor allem der Soundtrack (auf der Bühne live gespielt) war fantastisch.
Das Buch ist gerade vor ein paar Tagen bei mir eingezogen und ich plane das als Herbst-Lektüre, erschien mir irgendwie passend. Freue mich schon darauf, insbesondere nach Deiner Rezension.
Passt zu jeder Jahreszeit 🙂 Und freuen kannst du dich definitiv!
Habe ich anfang der 80er gelesen und verehrt, weil unbegreiflich war, dass es legal in der DDR erschien: Totaler kann man doch Sozialismus/Stalinismus nicht entlarven.
Am meisten Erstaunen erzeugte damals der Hinweis auf Intershops in Lenins Sowjetrussland. (Devisenläden halt, den konkreten Begriff hab ich vergessen) die Kunstgängelei die Bulgakow beschrieb, erlebten wir zeitnah in aktueller Form mit: Verzögerung der Veröffentlichung der 3. LP von Karussell wegen eines moralisch anstößigen Liedchens namens „Gelber Mond“; Nichtzustandekommen der Pankow LP „Paule Panke – Alltag eines Lehrlings“, obwohl das Rockspektakel landauf/landab live gefeiert wurde, massenhaftes „Abhauen“ unserer Helden in den Westen … das konnte man alles bereits bei Bulkakow lesen…dass es so kommt.
Übrig blieb dann zurückgezogene, beobachtende, achselzuckende Resignation und kopfschüttelnde Melancholie über den sozialistischen Alltag, die „jüngste Idee der Menschheit“ , die so alt und engstirnig daherkam.
Und das wiederum findet sich wieder in Anatoli Kim „Eichhörnchen“ – ganz starker Stoff! Bulkakow 2.0
Anatoli Kims „Eichhörnche“n sagt mir gar nichts, konnte auch nach kurzer Recherche im Netz kaum etwas zu finden. Worum geht es da?
Guckst du hier:
https://tokaihtotales.wordpress.com/2015/04/03/unverichtbar/
wenn der link nicht funzt, dann hier:
https://tokaihtotales.wordpress.com/2015/04/03/unverzichtbar/
weiß auch nicht, warum bei automatischem kopieren, das z aus unverzichtbar verschwindet.
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