In »Künstler im Exil«, das von Journalist George Bailey und Fotograf Nico Nagel zusammengetragen wurde, werden Kulturschaffende, die der Sowjetunion entkamen und der Literaturzeitschrift »Kontinent« sowie dem Kontinent Verlag nahestanden, portraitiert. Abgesehen von der engstirnigen Haltung des Verfassers sorgt das kleine Buch für Anreiz, sich mit Dissidentenliteratur auseinanderzusetzen.
»Es ist eine Literatur des Leidens, des Zeugnis Ablegens gegen Ungerechtigkeit – Zeugnis irgendeiner Art aus Gefängnissen, Straflagern und Verbannung, in dieser Reihenfolge«, schreibt Bailey in seiner Einleitung über die Dissidenten, die zudem bei ihrem Schaffen aufgrund der Härte der sowjetischen Zensur zurückstecken mussten. Natürlich wird eingangs Axel Springer in den Himmel gelobt, der die Dissidenten förderte und »der sich nicht von dem Verkaufserfolg seiner Objekte tyrannisieren [ließ]«. Stellen wir das mal unkommentiert in den Raum, schauen darüber hinweg und widmen uns den Exilkünstlern.
25 kurze Portraits von Kontinent-Autoren liegen vor. Manche sind weniger gelungen, lediglich mit den notwendigsten Informationen versehen und erinnern mehr an Wikipedia. Andere bieten durchaus Interessantes. Über Joseph Brodsky wird gesagt, dass er das Glück hatte, begabte Übersetzer zu finden, die seine Gedichte sinngemäß ins Englische übertragen konnten. Ein anderer Poet, Vadim Delaunay, hatte dagegen große Probleme damit und bekam einen Nachteil des Auswanderns deutlicher zu spüren:
Der Dichter als Verbannter hat es noch schwerer: er muß geeignete, wenn nicht sogar geniale Übersetzer finden. Das ist Glückssache. Denn es heißt nicht nur andere Dichter finden, sondern auch Seelenverwandte. Es gibt einen Spruch: wer gut genug ist, Gedichte zu übersetzen, ist ipso facto zu gut dafür. (S. 35)
Außerdem lernt man, dass Wladimir Bukowski unter den Dissidenten der »Held der Helden« war, da er trotz allen Verhaftungen weiter nicht davor abschreckte, zu demonstrieren und sich bis zu seiner Verbannung nicht herunterkriegen ließ. Ferner kommt man in Kontakt mit dem Nonkonformisten Oskar Rabin, der an der berühmten Bulldozer-Ausstellung teilnahm. Darüber hinaus werden Natalja Solschenizyn, die Frau des Nobelpreisträgers, Musiker Mstislav Rostropovich, der Solschenizyn Obhut gewährte, deswegen auf der Liste stand, und natürlich Solschenizyn selbst beschrieben.
Denn einen Alexander Solschenizyn hätte es nie geben dürfen. Das sowjetische System ist danach ausgerichtet, die Entstehung eines solchen Mannes von vornherein unmöglich zu machen. Unter dem Eindruck dieser und ähnlichen Betrachtungen stand mein erstes Treffen mit Alexander Solschenizyn in seinem zweistöckigen Haus in Zürich. Als ich dem Dichter gegenübersaß, war ich überwältigt, ja gefesselt von dem Eindruck: niemals in meinem Leben hatte ich so viel Energie zu gleicher Zeit an einem Ort gesehen. Der Mann war ein lebendiger Atommeiler – ich konnte die sorgsam gehütete, vor aller Welt versteckte Glut einer kosmischen Kraft förmlich sehen. Aus dem, was er damals sagte, formte sich nach und nach noch ein Eindruck in mir: du bist in der Gegenwart eines Dieners des Herren. (S. 127-128)
Neben diesen Abrissen, die hängengeblieben sind, wird Wladimir Maximows Hauptroman »Die sieben Tage der Schöpfung« mit einem modernen Klassiker gleichgesetzt. Auch sollte man »Die denkwürdigen Abenteuer des Soldaten Iwan Tschonkin« von Satiriker Wladimir Woinowitsch scheinbar genauso wie Wiktor Nekrassows Bestseller »In den Schützengräben von Stalingrad« lesen.
Trotz des ganzen Unmuts über die Verfahrensweise der totalitären Sowjetunion mit der Gedankenfreiheit, sie findet nahezu in jedem Artikel Erwähnung, und der ganzen Schwarzweißmalerei, Anti-Sowjet-Position, bietet das schmale Bändchen »Künstler im Exil« einige wertvolle Einblicke, die auffordern, sich mehr mit den Personen zu beschäftigen. Manches Mal wirkt es wie Werbung für den Kontinent Verlag, doch schaut man darüber hinweg … Informationen, Hin- und Verweise schaden selten.
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[Anmerkung: »Kontinent« wurde vom selbsternannten Verfechter des Kommunismus, Axel Springer, unterstützt und vom Ullstein Verlag (einer Tochtergesellschaft der Axel Springer Verlag AG) veröffentlicht. Gegründet wurde die Zeitschrift, in der sich auch George Orwells Texte fanden, von u.a. Alexander Solschenizyn, der sich der Kritik von Günter Grass und Heinrich Böll stellen musste, weil er eine Kooperation mit Springer einging. Grass schrieb Solschenizyn einen Brief, forderte ihn auf, die Zusammenarbeit zu überdenken und erklärte ihm, dass durch Springer u.a. Informationen verfälscht werden und dadurch die Demokratie in der Bundesrepublik gefährdet sei. Wie auch immer, Springer nutzte die Dissidenten für seine Zwecke, da diese sich mehr dankbar zeigten und weniger wählerisch bei der Auswahl ihres Verlages waren. Neben dem »Kontinent« rief der Ullstein Verlag das Schwesterunternehmen Kontinent Verlag ins Leben und verlegte dort ebenso Bücher der Exil-Künstler.]
[Buchinformationen: Bailey, George & Nagel, Nico (1982): Künstler im Exil. Kontinent-Autoren im Bild. Ullstein Kontinent. 138 Seiten. ISBN: 3-458-38037-9]