Brot und Spiele für das Volk. Viel Gerede um den heißen Brei – Boulevard-Stoff. Lauter Werbepausen, lauter Machos, die sich sinnlos die Köppe einhauen. Boxen. Das ist die eine Seite der traditionellen Sportart, wenn sie in die Schublade gesteckt wird. Die andere, und das versucht Joyce Carol Oates, Anwärterin für den diesjährigen Literaturnobelpreis, in ihrer »Box-Bibel«, literarisch zu beleuchten, gibt dann doch viel mehr her, als es den Anschein hat. Bereits 1987 wurde »On Boxing« veröffentlicht und zum Kultbuch ernannt. Nun wurden Oates Essays neu aufgelegt und mit weiteren Textbausteinen bestückt.
Ich kann Boxen auch nicht mit literarischen Begriffen fassen, ich sehe es nicht als Metapher, die für etwas anderes steht. Niemand, dessen Interesse, wie das meine, in der Kindheit erwachte – es wurde geweckt, weil man Vater sich dafür interessierte –, wird Boxen je als ein Symbol begreifen können: als ob seine Einzigartigkeit ein bloßes Kürzel wäre, ein ikonografischer Hinweis. Das Leben dagegen als Metapher für das Boxen wäre eine mögliche Vorstellung – Metapher für einen dieser Kämpfe, die nicht enden wollen, Runde folgt auf Runde, Stöße, verfehlte Schläge, Clinch, keine Entscheidung, wieder und wieder der Gong, wieder und wieder der Gegner, der dir so gleicht, dass du die Augen nicht davor verschließen kannst, dass du selbst dein Gegner bist: Und warum dieser Kampf auf erhöhter Plattform, von Seiten eingeschlossen wie in einen Pferch, unter heißem, brutalem, mitleidlosem Scheinwerferlicht, im Angesicht einer ungeduldigen Menge? Diese Art von höllischer Metapher, wie Schriftsteller sie kennen – es wäre vorstellbar. Das Leben gleicht dem Boxen in vielen beunruhigenden Beziehungen. Aber Boxen gleicht nur sich selbst. (S. 9-10)
Oates beschreibt, dass dem Kämpfer stets der Tod anhaftet, wie es Boxer gab, für die auf der großen Bühne das letzte Stündchen geschlagen hat. Überhaupt kann der Zuschauer nicht nachvollziehen, was eigentlich im Ring passiert. Das menschliche Auge kann es nicht mal ohne Zeitlupe erahnen – die »atemraubende Subtilität«. Vermeintliche Zufälle im Duell sind Mangelware, weshalb das Boxen nach Oates dem Leben überlegen zu sein scheint, »denn im Idealfall kennt es den Zufall nicht. Nichts geschieht, was nicht bewusst gewollt wird.«
Der Boxer muss irgendwie lernen, und kein Nicht-Boxer wird je verstehen, wie, seinen Überlebensinstinkt zu überwinden. Er muss lernen, seine rein menschlichen, animalischen Impulse seinem Willen zu unterwerfen, Impulse, die ihm nicht nur befehlen, den Schmerz, sondern das Unvorhersehbare zu vermeiden. Psychologisch gesehen klingt es wie Zauberei. Levitation. Geistige Gesundheit auf den Kopf gestellt, »Verrücktheit«, die sich als eine höhere und pragmatischere Form von Normalität erweist. (S. 19-20)
Im Unterschied zu anderen Sportarten lässt sich Boxen nicht spielen. Auch deshalb habe es Autoren wie Ernest Hemingway begeistert. Schmerz, der bis hin zum Masochismus geht, sich zu quällen, harte Trainings zu absolvieren, »Intelligenz, List und strategisches Talent« zu vereinen. Fehler werden dann im Ring bestraft, ähnlich wie Franz Kafka aussagte, »dass man für seine Süden bestraft werden könnte«. Ferner gibt Boxen der menschlichen Wut eine Plattform, dort kann sie unter professionellen Bedingungen ausgelassen werden.
Nicht nur, dass Boxen in den USA als dubios angesehen wird, wird auch die moralische Komponente hinterfragt. Reiht es sich allerdings im Vergleich zum Football oder Autorennen keineswegs in die brutalste Sportart ein. Etwas weiter geht die Autorin ebenso zurück, wenn sie die Wurzeln des heutigen Boxens u.a. in der Antike aufdeckt. Sogenannte Bare-Knuckle-Kämpfe (ohne Handschuhe mit bloßen Fäusten) hat man im 17. Jahrhundert veranstaltet. Auf Märkten fanden diese Prize Fights statt – mitmachen durfte jeder. Im Zeitalter der Sklaverei mussten sich schwarze Sklaven bis zur Regungslosigkeit bekämpfen (übrigens passend abgebildet in Quentin Tarantinos »Django Unchained«). Es wurde dabei gewettet.
Joyce Carol Oates portraitiert außerdem den jüngsten Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten, Ghettokind Mike Tyson, der ihr äußerst intelligent und schüchtern begegnete. Muhammed Ali, dem es gelang, die Grenzen des Sports zu sprengen, politisch aktiv zu sein. Jack Johnson, der am Anfang des 20. Jahrhunderts erzielte, dass nicht nur Weiße gegen Weiße antreten dürfen, sondern auch Schwarze gegen Weiße. Max Schmeling, der in Amerika als Verkörperung des Nazismus gesehen wurde.
Gewiss lässt sich Joyce Carol Oates attestieren, dass sie als Box-Liebhaberin wenig negative Kritik veräußert, wenn es um ihren Sport geht. Sicher bemerkt sie, dass das große Geld und der Kapitalismus auch hier vieles kaputt macht(e). Doch inwiefern unterscheidet sich Boxen von anderen Kampfsportarten, in denen es um vergleichsweise Ähnliches geht? Da mehrere Essays, die in unterschiedlichen Zeiträumen geschrieben worden sind, aneinandergereiht sind, wiederholen sich leider ebenso einige Aspekte (Gladiatoren, Ringrichter, Tod).
Ansonsten schreibt Oates kenntnisreich über das Boxen – das nicht nur Prügeleien abbildet –, philosophisch angehaucht, schaut sie in die Köpfe der Sportler, vergleicht und deckt auf. Ihre Intention: der Leser soll erfassen, wie universell und umfangreich dieser Sport doch sei. Aufklärend und informativ – nicht nur für Box-Begeisterte.
[Buchinformationen: Oates, Joyce Carol (Mai 2013): Über Boxen. Manesse Verlag. Titel der Originalausgabe: On Boxing (1987). Aus dem Amerikanischen von Ursula Locke-Groß und Andrea Ott. 320 Seiten. ISBN: 978-3-7175-2282-9]
Lieber Muromez,
ich schätze Joye Carol Oates sehr und habe ihren Roman „Meine Zeit der Trauer“ vor einiger Zeit sehr gerne gelesen, deshalb wurde ich gleich neugierig, als ich deine Rezension entdeckt. Boxen ist leider nicht gerade einer meiner Lieblingssportarten und doch wandert das Buch auf die Wunschliste – vielleicht schafft es Frau Oates ja, mir endlich mal diese Sportart ein bisschen näher zu bringen. 🙂
Liebe Grüße
Mara
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