Lee Miller – Krieg: Mit den Alliierten in Europa 1944-1945

Sich mitten ins Getümmel stürzen, dorthin wo es brennt, um darüber berichten zu wollen, erfordert Courage und einen Hauch von Lebensmüdigkeit. Lee Miller (*1907 – †1977) verkörperte diese Eigenschaften, die durch Neugier, Drang und einen zudem juckenden Hintern verstärkt wurden. Als eine von wenigen Frauen begleitete sie das Vorrücken der alliierten Streitkräfte in Westeuropa. Sie schrieb und fotografierte für die »Vogue«, die sich bekanntlich mehr für Mode interessierte. Auf Bilder von Leichen aus Konzentrationslagern folgten beim Weiterblättern des Magazins luxuriöse Kleider. Nach Millers Tod fand ihr Sohn Antony Penrose auf dem Dachboden 60.000 Manuskripte, Negative und Kontaktabzüge, seine Mutter, die in den Nachkriegsjahren an Depressionen und Alkoholmissbrauch litt, hat selten über das Erlebte gesprochen. Er fügte sie zusammen, sodass 1992 »Lee Miller’s War« erscheinen konnte. Der Verlag von Klaus Bittermann, Edition Tiamat, hat das Werk nun auf Deutsch herausgebracht – ein Glück.

Lee Miller - Krieg Mit den Alliierten in Europa 1944 1945Wahrhaftig lässt sich in jedem Artikel, der Hass auf die Deutschen, die »Krauts« und Hunnen, nachempfinden. »Ich verkrampfte mich jedes Mal, wenn ich einen Deutschen sah, und verachtete mich dafür, wenn mein Herz beim Anblick deutscher Verwundeter unfreiwillig weich wurde.« Miller schreibt nicht objektiv, sondern parteiisch, weil sie demokratisch denkt und sieht in den Nazis den Feind, den es zu besiegen gilt. »Ich missgönne den Deutschen jeden Grashalm, jede Kirsche im Vorratsschrank ihrer sparsam geführten Haushalte, jede Furche Acker und jedes unversehrte Dach.«

Stets ist sie in Uniform unterwegs und sogar manchmal als Frau das inoffizielle Maskottchen einer Infanterie. Sie berichtet aus einem französischen Feldlazarett, nahes Artilleriefeuer lässt sie aufhorchen, und schaut bei Operationen an ungewöhnlichen Verwundungen zu. Die verletzten Deutschen werden dabei genauso behandelt wie die eigenen Truppen.

Ein Verwundeter beobachtete mich dabei, wie ich ihn fotografierte, und versuchte angestrengt, sich mit seiner gesunden Hand das Haar zu glätten. Ich wusste nicht, dass er vom Natrium-Penthothal schon benommen war, weil man sich seinen anderen Arm vornehmen wollte. Ich drehte mich weg, aus Angst, mein Gesichtsausdruck könnte ihm verraten, was ich gesehen hatte. (S. 29)

Ebenso ist Miller direkt am Geschehen, als das bretonische Saint-Malo belagert wird. Mit der 83. US-Infanteriedivision zieht sie los, bei Brandgeruch und harten Gefechten mit ihrem Fotoapparat bewaffnet. Gekonnt vergleicht sie in ihrem Text Auszüge aus einem Reiseführer über Saint-Malo mit der aktuellen Lage. Kurz vor dem entscheidenden Angriff auf die Zitadelle lässt sie ihrem Gatten, Roland Penrose, folgendes zukommen: »Natürlich bin ich nervös, schließlich werden bald 200-Pfund-Bomben, unsere, vom Himmel fallen.«

Ich suchte in einem ehemaligen Unterstand der Krauts Deckung und kauerte mich an die aufgeschüttete Erde. Mein Stiefelabsatz bohrte sich in eine abgetrennte Hand, und ich verfluchte die Deutschen für die fürchterliche Zerstörung, die sie über diese ehemals so schöne Stadt gebracht hatten. […] Ich hob die abgetrennte Hand auf und warf sie auf die Straße. Dann rannte ich den Weg zurück, den ich gekommen war. Ich stolperte über Steinhaufen und rutschte in Blutlachen aus. Gott, es war grässlich. (S. 77/78)

Sie schildert Eindrücke vom befreiten Paris, an Plätzen, wo gekämpft wurde, wird jetzt gefeiert. »Mademoiselles«, ihre Röcke bauschen sich beim Fahrradfahren auf »wie die Glocken des Siegesgeläuts, umringen die GIs und Miller selbst wird als »femme soldat« mit ihrem Militäranzug fast auf Händen getragen. Sie trifft Pablo Picasso, mit dem sie und ihr Mann befreundet sind und der ihr beim Wiedersehen die Haare zerzaust, in den Hintern zwickt, bevor sie Neuigkeiten austauschen. Sie begegnet auch Marlene Dietrich und Colette. Es sind ermunternde Texte, die anders als die von den Kriegsschauplätzen Auftrieb geben.

Was ist Freiheit? Es sind die kleinen Dinge, die zusammengenommen Freiheit statt Verzweiflung ergeben. Es sind die Kolonnen der Evakuierten, die die Front verlassen, traurig, dass sie gehen müssen, aber einsichtig; es ist das Kino ohne Propaganda, es ist die lachende Gruppe auf der Straße; es ist das Vertrauen in die Freunde und die Familie; oder ein Neuankömmling, weil er ein christliches Gesicht hat; es die Möglichkeit, selbst zu tun oder zu lassen, was man versteht. (S. 147)

Vorwurfsvoll schaut sie dabei zu, wie die Bewohner Weimars, die scheinbar noch nie von der dort sich abspielenden Brutalität gehört haben, obwohl es ganz in der Nähe lag, ins KZ Buchenwald geführt werden und teils in Ohnmacht fallen. Ehemalige Häftlinge spüren derweil ihre Folterknechte auf, SS-Männer, mittlerweile in Zivilkleidung, versuchen, sich davonzustehlen. Miller reist weiter durch Deutschland, nach Jena, Aachen, Nürnberg oder Köln. Einen Tag nach der Befreiung ist sie auch im KZ Dachau.

In einem Block befindet sich eine Zuchtfarm für Angorakaninchen. Die Kaninchenzucht wurde im Lager gewerblich betrieben. Die Kaninchen leben weniger beengt als die Menschen und wurden auch besser behandelt. In wunderbar sauberen Unterkünften wurden sie liebevoll von den Kapos umsorgt. Der Stall für die Arbeitstiere befand sich ebenfalls in einem ausgezeichneten Zustand. Der Anblick der vollgefressenen Tiere mit ihren mächtigen Hinterteilen war angesichts so vieler ausgemergelter Menschen ein Schock. (S. 225)

Fast schon bizarr wird es, als Miller in Hitlers Münchner Privatwohnung haust und in seiner Wanne ein Bad nimmt. Auch ist sie mit als Erste an Adolf Hitlers Landhaus Wachenfeld, durchforstet und beschreibt dieses, wie auch Eva Brauns Stuckvilla, in der sie ihr Bett testet.

Alles in allem  war Lee Miller von einem besonderen Schlag, eine beeindruckende Persönlichkeit und Frau. Sie war dem Surrealismus zugewandt, stand als Supermodel vor der Kamera, auch Picasso war begeistert von ihr, bildete sie auf Portraits ab. Aus ihrem ehemaligen Farley Farm House, das in Chiddingly, East Sussex, England steht, ist ein Museum geworden, das ihr Sohn eröffnete. Es besteht aus den Kunstsammlungen seiner Eltern.

Miller verfasste ihre Reportagen stets aus der Ich-Perspektive und bedient sich einer Erzählform, die heute wohl so nicht mehr gedruckt werden würde. Millers Kollege vom Life-Magazin, David E. Scherman, der das berühmte Bild von Miller in Hitlers Wanne knipste, bewertete ihre Arbeiten als eloquenten Journalismus. Natürlich schrieb sie auch einseitig und vorbelastet. Sie verstand es nicht, dass die Deutschen sich nicht als befreites Volk sehen lassen wollten. Sie verstand es nicht, welchen Status sich Hitler und der Nationalsozialismus aufgebaut hatten, die im Land unantastbar waren, und warf alle Deutschen, den Feind, in einen Topf. Aufgrund ihrer engstirnigen Haltung sollten ihre Berichte distanziert betrachtet werden, da sie entsprechend häufig selbst propagandistisch handelte.

Mit den starken Fotografien, den Briefen und den beeindruckenden Reportagen – Miller schafft es mit ihrem Talent, dass der Leser alles vor Augen hat – ist »Krieg: Mit den Alliierten in Europa 1944-1945« ein expressives Dokument, gleichsam ebenso ein schockierendes. Lee Miller feiert darin »einäugig« ihren Sieg gegen das antipathische Deutschland. Sie war waffenlos, die Kampfgeräte waren ihre Hermes-Reiseschreibmaschine und ihre Kamera. Sie standen ihr in dem »privaten Krieg« bei.

[Buchinformationen: Miller, Lee (2013): Mit den Alliierten in Europa 1944-1945. Reportagen und Fotos. Edition Tiamat. Aus dem Englischen von Andreas Hahn und Norbert Hofmann. Titel der Originalausgabe: Lee Miller’s War: Photographer and Correspondent with the Allies in Europe 1944-45 (1992). 336 Seiten. ISBN: 978-3-89320-178-5]

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7 thoughts on “Lee Miller – Krieg: Mit den Alliierten in Europa 1944-1945

  1. Lieber Muromez,
    vielen Dank für diese eindrucksvolle Besprechung eines offensichtlich eindrucksvollen und wichtigen Buches. Das kommt auf jeden Fall auf meine Liste, denn das Thema interessiert mich schon lange.
    Die einseitige oder, wie Du schreibst engstirnige Haltung stört mich glaube ich nicht. Ich finde sie nicht so sehr verwunderlich, schliesslich sind das Tagebucheinträge unter dem direkten Eindruck des Krieges entstanden – und dafür waren nun mal die Deutschen verantwortlich.
    Und dann sehe ich das schlicht als die Kehrseite einer Medaille. Was ich damit meine? Zur Erklärung eine wahre Geschichte:
    In den 90ern war ich 10 Jahre der Kulturbüttel in einem schwäbischen Dorf (10.000 EW). Da gab es einen kleinen Flughafen auf der Gemarkung der Gemeinde, auf dem während der Nazizeit französische Kriegsgefangene arbeiten mussten. Nicht nur da, sondern auch im nahegelegenen Schieferbruch. Die Gefangenen wurden morgens durchs Dorf geführt zu ihrer Zwangsarbeit und abends wieder zurück. Am Ende des Krieges haben die zuständigen Nazis alles verlassen, bevor die Alliierten sie greifen konnten, allerdings nicht ohne die Zwangsarbeiter noch umzubringen und in eine Grube zu schmeissen, die diese selber vorher ausheben durften.
    Nun gab es Anfang der 90er noch einen Überlebenden dieses einen kleinen unbekannten Massakers von vielen. Den hatte eine tapfere Familie im Dorf versteckt. Den hatte ich ausfindig gemacht und er hatte sich, nach sehr langem Zögern, dazu bereit erklärt, zu einigen Veranstaltungen nach Deutschland zu kommen und da seine Geschichte zu erzählen. Das war schwierig genug aber verständlich.
    Noch schwieriger war es am Ende, die Veranstaltung im Ort durchzuführen, denn die Einheimischen, die diese Zeit noch miterlebt hatten oder auch nur inzwischen verstorbene Angehörige, Geschwister, Eltern Onkels, Tanten hatten, die erinnerten sich zwar auch an das Arbeitslager und an das Massaker – aber ganz anders.
    Denn nach der Befreiung hatten die Franzosen, sprich, die französische Armee, die ja nicht als Befreier, sondern als Besatzungsmacht gesehen wurden, die erwachsenen Einwohner des Ortes vollzählig zu dem Massengrab geführt und sie gezwungen, sich das anzusehen. DAVON, von dieser Zumutung haben die Leute mir nach über 40 Jahren erzählt. Nicht von den Opfern. Und deshalb empfinde ich diese Engstirnigkeit der Befreier, wenn sie denn mal da war, einfach nur als verständlich und eben die Kehrseite derselben Medaille.
    Liebe Grüsse
    Kai

    • Lieber Kai,

      ich möchte keineswegs eine verteidigende Position einnehmen und vermutlich hätte ich mir unmittelbar nach dem Krieg eine ähnliche Meinung wie Lee Miller vertreten. Mir geht es vielmehr darum, dass nicht alle Deutsche damals Nazi-Verbrechen begangen oder moralisch falsch gehandelt haben. Ich mag diese Verallgemeinerungen nicht.

      Die Geschichte, die du darstellst, ist vor allem wegen der unterschiedlichen Sichtweisen interessant. Vor einiger Zeit habe ich auch mit Opfern sprechen können. Ein ehemaliger polnischer Auschwitz-Insasse erzählte über sein Überleben. Heutzutage verspüre er keinen Hass mehr, hat vergeben und ist mittlerweile trotz seines Alters immer noch in Deutschland unterwegs. Besucht Schulen und klärt auf. Miller dagegen soll ihr ganzes Leben lang Deutsche verabscheut haben. Sie wollte nie Verzeihen, nie Versöhnung. Eventuell lässt sich das auch mit ihren Nachkriegsdepressionen erklären …

      Möglicherweise drehe ich mich aber auch im Kreis. Im Gegensatz zu ihr habe ich diese Zeit nicht erlebt und kann das alles nur distanziert betrachten. Von daher hast du mit der Kehrseite der Medaille natürlich auch recht.

      Liebe Grüße zurück
      Muromez

  2. Pingback: Revue passieren lassen | Muromez

  3. Danke für den Hinweis auf dieses Buch. In Wien habe ich mir vor ein paar Wochen die Lee Miller Ausstellung in der Albertina angeschaut. Die Bilder waren interessant, aber m.E. nicht besonders. Was bei mir ungute Gefühle ausgelöst hat, war die teilweise Inszenierung ihrer Nachkriegsbilder. Da lag sehr viel Verachtung im Blick, teilweise der Versuch einer Frau, so meine Interpretation, als „Siegerin“ ihr angeknackstes Selbstwertgefühl aufzupimpen. Aber bei der Frage, ob Fotojournalismus auch Kunst sein darf, und wie hier, dem narzisstischen Bedürfnis einer Künstlerin Raum geben soll, gehen ja die Meinungen auseinander. So richtig vom Hocker gehauen haben mich ihre Bilder nicht.

    • Ich kann nur die Bilder bewerten, die in diesem Buch eingefügt worden sind. Natürlich versuchte Miller genau das einzufangen, um die Welt in Kenntnis zu setzen und die Machenschaften der Nazis aufzudecken. Da richtet sich das Objektiv eben auf die Opfer und insbesondere auf die Täter. Sie war, wie es sich herausstellt, ebenso ein Teil des Krieges, wenn sie auch nicht aktiv mit Waffen hantierte und diese abgefeuert hat. Von daher ist es nicht verwerflich, dass die Frau Hass verspürt hat und dieser in ihren Fotografien zu spüren ist. Vergebung für die Feinde war zumindest bei der Befreiung nicht möglich, auch mit etwas Abstand wird sie die Deutschen verabscheuen und ihre Einstellung nicht ändern können.

      Inwiefern waren die Bilder denn deiner Meinung nach inszeniert? Ich glaube schon, dass sie eine Selbstdarstellerin war. Hübsch, ein Model – mit ihren Reizen spielend, gerade von den Soldaten angehimmelt, die so etwas an der Front nicht kannten. Das Bild in Hitlers Wanne z.B. hat zweifelsohne narzisstische Züge, aber da hat sie ja nicht selbst auf den Auslöser gedrückt.

      Wie gesagt, die unterschiedlichen Fotos in diesem Band, von Paris, den Einwohnern, den KZs, den Lazaretten und Persönlichkeiten wie Marlene Dietrich oder Colette, fand ich durchaus interessant, sehenswert und hilfreich.

      Beste Grüße

      • Mit inszeniert meine ich, dass der dokumentarische Charakter, den die Bilder ja eigentlich haben sollten, zugunsten der Inszenierung der Fotografin als Künstlerin und Model zurückgestellt wurde.

  4. Pingback: Das Grauen – Lee Miller “Krieg” | Zeichen und Zeiten

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