Maria Matios – Darina, die Süße

Maria Matios - Darina, die SüßeZiemlich kompliziert die politische Situation der Landschaft Bukowina im 20. Jahrhundert! Erst komplett österreichisch, dann der Ukraine und Rumänien zugehörig, schließlich teils Polen, danach abwechselnd von den Sowjets und Nazis besetzt. Genau um dieses Stückchen Erde, das regelmäßig aufgemischt wurde, dreht sich Maria Matios Roman »Darina, die Süße«. Dieser erschien in der Ukraine bereits 2005 und ergatterte den Taras-Schewtschenko-Preis, die wichtigste ukrainische Literatur-Auszeichnung. Schriftstellerin Matios, einst selbst in Bukowina geboren, lebt heute in Kiew und widmet sich ebenso der Politik. 2012 kandidierte die Demokratin bei den Parlamentswahlen für die Partei UDAR, die ein gewisser Vitali Klitschko gegründet hat. »Darina, die Süße« ist das erste Werk Matios, das ins Deutsche übersetzt wurde.

Zum einen handelt Maria Matios das Leben der erwachsenen Darina in den 80ern ab. Diese ist zwar des Sprechens mächtig, kommuniziert jedoch seit langem mit keinem der Dorfbewohner von Tscheremoschne mehr. Merkwürdige, horrende Schmerzen im Kopf lindert sie im kühlen Fluss. Von den mürrischen Mitbürgern wird sie akzeptiert, aber auch in Ruhe gelassen. Manche halten sie für schwachsinnig, irre oder sogar dumm.

Darina hörte und wusste alles, sie redete nur mit niemanden. Die anderen dachten, sie sei stumm. War sie aber nicht. Darina wollte einfach nicht reden. Auch Worte konnten Schaden anrichten. Sie konnte sich nicht erinnern, woher sie das wusste, aber es stimmte. […] Was war schon dabei, dass sie nicht redete? Auch die stumme Katrinka machte nur Gesten, und keiner nannte sie dumm. Darina hatte ihre Zunge nicht verschluckt, und trotzdem sagten die Leute Dinge über sie, die nicht stimmten. Sie war nicht süß, aber auch nicht dumm. Ach, sie konnten ihr gestohlen bleiben, die dummen menschlichen Zungen. (S. 18)

Einzig und alleine beim Grab ihres Vaters kann sie befreit Worte formulieren. Als Maultrommel-Verkäufer Iwan ihr ganz nahe kommt – scheint sich für Darina das Blatt zu wenden. Er sorgt für Milderung und muss dennoch gehen, denn die neidischen Tratsch-Tanten akzeptieren ihre Beziehung nicht. Ein folgenschwerer Fehler Iwans bedeutet ebenso ein frühes Aus.

Zum anderen, und damit beginnt der zweite Teil des Buchs, wird die Kindheit Darinas und die Vergangenheit ihrer Eltern erzählt. Hier soll aufgedeckt werden, welches Schicksal Darina widerfahren und wie ihr Trauma zu erklären ist.

Die beiden Waisen Matronka und Mychajlo tun sich zusammen und ziehen durch ihre enge Liebe eifersüchtige Blicke auf sich. Ein Mädchen, Darina, wird geboren und mir nichts, dir nichts verschwindet Matronka plötzlich. Einige Tage später wird die Entstellte von ihrem Ehemann gefunden. Erklärungen für ihr phantomartiges Abtauchen habe sie keine. Erinnerungen schon gar nicht. Schon bald und nach Hinweisen wittert Mychajlo einen Seitensprung. Verprügelt sie. Alles bekommt einen faden Beigeschmack. Dann kommt die siegreiche Rote Armee und räumt in dem Dorf ordentlich auf. Partisanen soll es verstecken. Diese mit jedem Mittel ausfindig zu machen, scheint den Sowjets recht zu sein.

An der schwarzen Wand, direkt unter dem großen Fenster saßen … zwei Tote: ein junger Bursche und eine blutjunge Frau, fast ein Mädchen noch. Der Wind spielte in ihren Haaren, es sah so aus, als wären sie am Leben, schämten sich aber, die Augen zu öffnen. Splitternackt, wie sie auf die Welt gekommen waren, lehnten sie am Gemeinderat mit den Köpfen aneinander. Bei den Burschen war die rechte, bei dem Mädchen die linke Schläfe durchschossen. Wer nicht wusste, dass es geronnenes Blut war, konnte glauben, sie hätten sich jeder eine kleine getrocknete Rose unters Haar gesteckt. Zwischen den Beinen des Burschen stand ein Wolfstöter in die Höhe, gleichsam in den Himmel gerichtet. Zwischen den weit gespreizten Beinen des Mädchens, die ein großes Muttermal an der Innenseite des Schenkels freigaben, stand ein Kieferzapfen in die Höhe, der die roten Härchen ihrer Scham bedeckte. Anstelle der Brüste klafften zwei tiefe Löcher, schwarz vor geronnenem Blut. Ein Auge des Mädchens war herausgestochen, dort gähnte eine schwarze Höhle. (S. 184)

Unschwer auszurechnen, dass die brutalen Kommunisten ebenso etwas mit Darinas Psyche veranstaltet haben könnten…

Maria Matios Sprache gleicht etwas Nüchternem. Ruhig und auf dem Punkt schildert die Autorin die verzwickte Geschichte Bukowinas (das mir im Vorfeld komplett unbekannt war) während des 2. Weltkriegs und danach. Beschreibt eindrucksvoll die Idylle, die teils abergläubischen, spöttischen, limitierten und hinterwäldlerischen Einwohner, deren naive Gesprächsfetzen immer wieder eingefügt werden. Erzielt gleichzeitig Spannung, indem sie Darinas Geheimnis erst am Ende aufdeckt. Dabei soll die gegeißelte Darina für das Leid, Verdrängen und womöglich Stehenbleiben Bukowinas gelten.

Äußerlich ähnelt »Darina, die Süße« einem Heimatroman voller Kitsch. Inhaltlich – und darauf kommt es bekanntlich an – hat Maria Matios einen außerordentlichen, packenden sowie ergreifenden Roman niedergelegt. Nicht nur zum Horizont erweitern!

[Buchinformationen: Matios, Maria (Januar 2013): Darina, die Süße. Mit einem Nachwort von Andrej Kurkow. Haymon Verlag. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe. 231 Seiten. ISBN: 3-7099-7006-7]

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2 thoughts on “Maria Matios – Darina, die Süße

  1. Die Bukowina war um die Jahrhundertwende und bis zum Wüten der Nazis eine richtiggehende Literatenschmiede: Paul Celan, Rose Ausländer, Margul-Sperber, von Rezzori…die Liste der Schreibenden von dort ist erstaunlich lang. Das Projekt http://www.zeitzug.com leistet hier literarische Erinnerungsarbeit, kann ich sehr emfpehlen. Auf meinem Blog habe ich jetzt zwei Lyrikerinnen aus der Bukowina vorgestellt, demnächst folgt Rose Ausländer.

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