Andrej Kurkow – Pinguine frieren nicht

andrejkurkow_pinguinefrierennichtDas wunderbare „Picknick auf dem Eis“ (1996) war ein solcher Erfolg, dass nach einer Zugabe gebettelt wurde. So entschied sich Andrej Kurkow, seinen beiden Figuren, dem heimlichen Hauptdarsteller Pinguin Mischa und Herrchen Viktor, wieder Leben einzuhauchen und sie in „Pinguine frieren nicht“ (Diogenes / 2003) auf ein Neues zusammenzuführen.

Eine ähnliche Situation spiegelt sich für Viktor wider, der am Ende des ersten Teils wie ein U-Boot eine Flucht einschlug und bei seiner Wiederkehr in Kiew vor einem Scherbenhaufen steht. Der zurückgelassene Pinguin Mischa ist verschwunden, in seiner Wohnung hat sich Kindermädchen Nina mit einem Neuen einquartiert, was Stieftochter Sonja missfällt.

Voller Melancholie streicht Viktor durch die Straßen, hofft auf einen Funken Licht am Ende des Tunnels, auf Antrieb, auf eine Lebensaufgabe. Wie es das Schicksal mit ihm meint, stößt er auf den Parlamentskandidaten Sergej Pawlowitsch und lernt dort „das Gesetz der Schnecke“ kennen, das ihn auf seiner anschließenden Odyssee und Suche nach Mischa überallhin begleiten wird:

»Der Mensch braucht nicht viel«, redete Sergej Pawlowitsch weiter. »Ein bisschen Essen, etwas Geld und ein Haus, also ein Dach über dem Kopf. Wie bei den Schnecken… Es gibt da ein Gesetz, das Gesetz der Schnecke. Du bist eine kleine Schnecke, dein Häuschen ist klein. Ich bin eine große, ich brauche ein größeres, festeres Haus. Vielleicht bin ich aus meinem Haus auch schon herausgewachsen, da muss ich mir ein neues bauen. Aber eine Schnecke ohne Haus nennt man Nacktschnecke. Und weißt du, wie man die behandelt und was mit ihnen passiert? Wenn du willst, gebe ich dir ein ›Dach‹…« (S.69)

Verschiedene Etappen muss Viktor durchlaufen, um Mischa zu finden. Erst erledigt er die Arbeiten für den angehenden Politiker Pawlowitsch, dann reist er nach Moskau und anschließend in das Kriegsgebiet Tschetschenien. Gerade bei der letzten Station spielt Viktor mit seinem Leben, insbesondere deswegen, weil auch dort das Schnecken-Gesetz in Kraft tritt und er sich unterwerfen muss, um nicht ohne Schutz wie eine Nacktschnecke einfach zertrampelt zu werden.

Eine Frage, die mir stets beim Lesen auf der Zunge lag: Warum unternimmt man eine solche riskante Reise, für die Rettung eines Pinguins? Hier hätte Andrej Kurkow plausibler werden müssen! Zwar erläutert Charakter Viktor, dass er Schuldgefühle habe, da er seinem Tier einst den Platz im Flugzeug zur Antarktis wegnahm, der ihn in die Heimat bringen sollte. Nur gelingt Kurkow diesmal anders als in „Picknick auf dem Eis“ die Personifikation Mischas wesentlich schlechter.

Ihm war, als wäre er selbst der einsame ratlose Pinguin, der nicht wusste, was er mit seinem Leben anfangen, wie er sich mit ihm zufriedengeben sollte, […] (S. 394)

Leider habe ich auch Kurkows außergewöhnlichen Humor vermisst, die kindlichen Dialoge zwischen Viktor und Sonja fallen nur kurz aus und hätten ruhig wieder ausführlicher stehen können.

»Sonja?« fragte Viktor froh.

»Onkel Witja!«

»Ja, ich bin’s. Ich habe Mischa gefunden!«

»Wo ist er?«

»Er ist nach Moskau gefahren.«

»Aber wieso?« Aus dem Hörer klang traurige Unverständnis.

»Er arbeitet dort in einem Zoo…«

»Als was denn?«

»Als Pinguin.«

»Aber geht das?« fragte Sonja, und die Frage brachte Viktor zum Lächeln.

»Er kann das…«

»Aber ich kann doch nicht als Sonja arbeiten, wenn ich schon Sonja bin« Sie gab nicht auf.

»Ich kann auch nicht als Witja arbeiten«, sagte Viktor. »Aber ein Pinguin kann im Zoo als Pinguin arbeiten, und ein Elefant als Elefant. Tieren ist es erlaubt, als sie selber zu arbeiten…«

» Ja?! Na gut«, sagte Sonja. »Ich würde gerne als Sonja arbeiten, das ganze Leben!«

» Und was würdest du da tun?«

»Naja, ich weiß nicht, ich wäre eben Sonja, von morgens bis abends.« (S. 86/87)

Autor Andrej Kurkow mit einem potentiellen Mischa-Pinguin, der nur Augen für den Fisch hat. / Bildquelle: Andrej Kurkow Facebook

Wie es sich für Andrej Kurkow gehört, übt dieser auch reichlich Kritik aus. Wie man in der Ukraine Politik betreibt, seine Muskeln spielen lässt und die Medien durch Wohltätigkeit beeinflusst, um schließlich die Karriereleiter zu erklimmen. Was alles mit Geld, Macht und anschließender Hegemonie möglich erscheint. Wie Krieg in Tschetschenien geführt worden ist. Wie man am Ende des Tages zur keiner Schnecke ohne Dach wird. Das alles wird irgendwann allerdings „too much“, sodass ich am Ende die komplette Krittelei als Gesamtpaket nicht filtern kann.

Summa summarum erinnert „Pinguine frieren nicht“ mehr an Andrej Kurkows „Petrowitsch“ (1997), das ebenfalls mehr ein Abenteuer darstellt. Zwei Drittel der Geschichte in „Pinguine frieren nicht“ hätte ebenso ohne den Vorgänger stehen können, was meines Empfindens nach schon einer kleinen Enttäuschung gleicht, da das Werk an das bestechende „Picknick auf dem Eis“ nur vereinzelt anknüpfen kann. Ja, der erste Teil ist wesentlich besser, was mich trotzdem nicht daran hindert, „Pinguine frieren nicht“ komplett das Amüsement abzusprechen.

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3 thoughts on “Andrej Kurkow – Pinguine frieren nicht

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