Nach Swetlana Geier (*1923 – †2010) ist nun auch Juri Elperin (*1917 – †2015) im vergangenen Jahr verstorben. Beide waren bekannt für ihre außerordentlichen Übersetzungen vom Russischen ins Deutsche. Beide waren neben ihrem Schaffen für die Literatur Zeitzeugen, weil sie auf ein ereignisreiches Leben zurückblicken durften und die Erdbeben, Konflikte Europas hautnah mitbekamen. Und von beiden gibt es auch Filme. Während der über Geier »Die Frau mit den 5 Elefanten« 2009 veröffentlicht wurde, ist die Elperin-Doku »Der Übersetzer« 2014 erschienen und auf noch nicht so vielen Kinoleinwänden oder im TV zu sehen gewesen.
Einen erheblichen Makel hat der Film von Manfred Wiesner und Grigory Manyuk: Bei einer Spielzeit von fast 60 Minuten ist er definitiv zu kurz geraten. In dieser Stunde werden zahlreiche Ereignisse und Elperins literarische Arbeiten nur angeschnitten, hätten jedoch ausführlicher, intensiver, tiefer dargestellt werden müssen. Denn Elperin ist so ein Mann, ein Intellektueller, der beinahe ein Jahrhundert gelebt hat – und dem man eigentlich noch stundenlang zuhören könnte.
Der Übersetzer stammt aus einer russisch-jüdischen Familie, die nach seiner Geburt beschloss, von Davos (Schweiz) nach Berlin (Weimarer Republik) umzusiedeln. Nach Hitlers Machtergreifung und durch den Judenhass müssen die Elperins auch Deutschland den Rücken kehren, ziehen weiter nach Paris und von dort in die Sowjetunion. Juri Elperin verliert damit den Westen als seine Heimat, meldet sich freiwillig zur Front, ist von 1941 bis 1945 ein Teil des Kriegs, übersetzt für Kriegsgefangene in Krasnogorsk. Doch nach dem die Nazis geschlagen und vertrieben worden sind, wendet sich auch für Elperin nicht alles zum Guten – ganz im Gegenteil. Von der Hochschule, an der er Germanistik unterrichtet, wird er geschmissen, der Antisemitismus erreicht auch angesteckt durch einen Nationalismus die Sowjetunion.
Von da an fängt Elperin auf seiner Datscha in Peredelkino mit dem Übersetzen an, ähnlich wie Boris Pasternak (unter anderem Goethes »Faust«). Das Gartenhaus baute einst sein Vater. Aus Holz und Balken, die ursprünglich Kirchen trugen, aber aufgrund der Repressionen abgerissen wurden. Er überträgt über 100 Werke, darunter Gedichte von Anna Achmatowa, Marina Zwetajewa, Bücher von Anatoli Rybakow, Tschingis Aitmatow, Märchen ins Deutsche. In Russland wird er der Außenseiter bleiben, der Kosmopolit, der Unerwünschte, sagt er. Als seine Stätte angezündet wird, kehrt er dem Staat endgültig den Rücken und zieht wieder nach Berlin.
Sein Schicksal sei typisch für die großen Umbrüche in Europa, meint er. »Ich habe meiner Person niemals so viel Wichtigkeit beigemessen, dass es mich verlockt hätte, anderen die Geschichte meines Lebens zu erzählen«, erklärt Elperin weiter. Dass er es doch getan hat, ist groß. Dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass aus dem Filmchen mehr rauszuholen gewesen wäre. Natürlich ist es berührend, wenn Elperin 80 Jahre später seine ehemalige Schule in Paris besucht, stolz seinen alten Schülerausweis präsentiert. Natürlich ist es außergewöhnlich mit wie viel Witz und Schelm er reflektiert, schwarzen Tee mit Zitrone trinkt, seine Pfeife anzündet und dort in seinem hellblauen, gebügelten Hemd gar nicht wirkt, als ob er im fortgeschrittenen Alter wäre. Und natürlich passen die Gedichte, die er rezitiert treffend zu seinen Lebensstationen.
Aber, was bedeutete Literatur für ihn? Welche Schwierigkeiten mach(t)en Übersetzungen? Was genau hat er im Krieg gesehen? Wie wurde er da als Jude behandelt? Welche Probleme machte ihm in der Armee der Fakt, dass er zwar gegen die Nazis kämpfte, selbst aber zum Teil in Berlin aufwuchs? Mit welchen Literaten verkehrte er, vor allem im Künstlerdorf Peredelkino, wo sich auch Pasternak und andere Schwergewichte befanden? Gab es da Anekdoten? Warum reiste das Filmteam mit ihm nach Paris aber nicht nach Russland, wo all das mit der Literatur begann? Warum ist nicht auf seine eigenen Werke eingegangen worden? Denn neben dem Übersetzen verfasste er einiges auch selbst. Auch wirken manche Einblendungen, Fotografien oder Szenen aus der Gegenwart, dem Alltag, Straßen, fremden Menschen überhaupt nicht passend, dienen mehr Lückenfüllern.
Folglich tastet sich der Film lediglich an die staunenswerte Laufbahn Elperins heran. Die Macher hätten jedoch noch etwas mehr Dickicht beseitigen müssen – viele Fragen bleiben unbeantwortet. Ob es am Budget lag? So liefert »Der Übersetzer« interessante Einblicke, die dann aber nicht so haften bleiben wie es im Vergleich bei »Die Frau mit den 5 Elefanten« der Fall ist.
Bestimmt ist es was ganz anderes. Aber mich erinnert das an die Geschichte von Giwi Margwelaschwili, der 1927 als Sohn georgischer Eltern in Berlin geboren wurde. Er ist Autor, weniger Übersetzer, glaub ich. In seinem Leben hat es auch einige Hin und Hers gegeben. Du hast sicher schon von ihm gehört – vielleicht sogar über ihn geschrieben… Aber falls du noch vorhast, über ihn was zu schreiben, würde ichs gern lesen. LG
Ja, stimmt. Margwelaschwilis Biografie ist auch beeindruckend, aber gelesen habe ich bisher noch nichts von ihm. Vielleicht irgendwann mal … LG