Seit Frankenstein, der, das vergessen viele, aus einem Roman (1818), dem von Mary Shelley, entsprang, hat es zahlreiche literarische oder kinematografische Produkte gegeben, in denen eine Art Mensch künstlich von anderen Menschen erschaffen wurde – meist als Monster. Auch Michail Bulgakow (*1891 – †1940) hat diese Konstellation zum Gegenstand seines Werks »Das hündische Herz« gemacht: aus einem streunenden Hund entspringt ein Homo sapiens. 1925 verfasst, prangert es das System an, kann aber auch als ein wunderbares, amüsantes Erzeugnis wahrgenommen werden.
Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski, eine häufig besuchte Moskauer Größe, da er mit seinem Kollegen Dr. Bormenthal merkwürdige Schönheit-OPs anbietet, stößt auf einen Köter. Nimmt ihn mit, verpflegt ihn und befördert ihn auf seinen Operationstisch. Die Geschlechtsteile des Straßenhundes werden ausgetauscht, stattdessen werden die Hoden und die Samenleiter eines 28-jährigen, kürzlich verstorbenen Trinkers verpflanzt sowie ein bisschen im Hirn gewühlt und vermixt. Aus Vierbeiner Lumpi wird unerwartet Zweibeiner Lumpikow.
Und dieser Lumpikow hat es in sich. Es erfolgt eine komplette Vermenschlichung, der Schwanz fällt ab und der Wortschatz erweitert sich. Lumpikow lernt rasch die Sprache – besonders schnell die Flüche –, fängt das Rauchen an, sein auserkorenes Lieblingsgetränk wird der Schnaps. Das Herrchen ergraut nach und nach, wird aus den Wolken gerissen, kann nicht glauben, was er da mit seinem Experiment angestellt hat. Lumpikow malträtiert, denunziert, droht und geht allen auf die Palme, sodass der Professor nur eine Lösung für das Problem erkennt: Aus Zweibeiner Lumpikow muss wieder Vierbeiner Lumpi werden.
– Sie haben die Dame in die Brust gezwickt! –, rief Bormenthal und stieß ein Weinglas um. – Sie stehen! …
– Sie stehen auf der untersten Entwicklungsstufe –, übertönte ihn Filipp Filippowitsch. – Sie sind ein sich nur langsam formendes, im geistigen Sinne schwaches Geschöpf, all ihre Handlungen sind rein animalisch, und da wagen Sie es, in der Gesellschaft von zwei Akademikern mit einer geradezu empörenden Lässigkeit irgendwelche Ratschläge kosmischen Ausmaßes und ebenso kosmischer Idiotie zum Besten zu heben, wie sich die Dinge verteilen ließen, dabei essen Sie Zahnpulver! … (S. 101)
Bulgakow wäre nicht Bulgakow, wenn in diesem Stück der Humor fehlen würde. Alleine die Szenen, als die Gedanken des Noch-Hundes wiedergegeben werden. Alleine die Tischgespräche mit dem Hundsmenschen ohne Manieren. Alleine die Intrigen, die in der Wohnung entstehen. All das reicht, um es als außergewöhnliches Leseereignis in Erinnerung zu behalten.
Tatsächlich lassen sich einige Parallelen zu Bulgakows späterem Prachtexemplar »Der Meister und Margarita«, gerade wenn es um die Zeitkritik geht, finden (Übersetzer Alexander Nitzberg fasst diese noch detaillierter im gelungenen Nachwort zusammen). Ins Kreuzfeuer geraten unter anderem die Bürokratie (»Sie wissen doch: Ohne Papiere ist es für Menschen strengstens verboten zu existieren«), die Sensationsgeilheit (die wildesten Gerüchte entstehen nach der Transformation), die Kürzung der Wohnflächen (durch eine 1918 beschlossene Verstaatlichung; der Professor wird von der nervigen Hausverwaltung angegangen) oder die Medien (laut Untersuchungen verlieren die Zeitung Prawda lesenden Probanden ihr Gewicht).
Erstaunlich ist, dass es in diesem Gebilde eigentlich nur schlechte Charaktere agieren, denn nicht nur Lumpikow – im Prinzip wird ein Opfer zum Täter und dann wieder zum Opfer – ist grundlegend schlecht. Auch andere Protagonisten vertreten nur ihre eigenen Interessen, handeln durch einen egoistischen Antrieb und führen alle etwas im Schilde.
Wer es mal etwas komischer und anders haben will, wird hier Freude haben. Spaß macht diese kurze Erzählung 90 Jahre später nach der Entstehung in jedem Fall. Gereicht wird eine erheiternde Satire, die darüber hinaus auch ein literarisches Juwel ist, durchaus aber auch ernstere Momente verfügt.
[Buchausgabe: Bulgakow, Michail (2014): Das hündische Herz. dtv. Neu übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Alexander Nitzberg. Titel der Originalausgabe: Собачье сердце (1925). 176 Seiten. ISBN: 978-3-423-14371-4]
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Dieser Roman bezog sich auf die Schaffung des „neuen sozialistischen Menschen“ durch den Stalinismus. Ein tolles Buch. Mein Lieblingsbuch von Bulgakow ist allerdings: Der Meister und Magarita
Von dem Buch habe ich vorher noch nie gehört. Das werde ich mir besorgen und im Lesekreis vorschlagen. Bulgakov habe ich bisher immer ausgelassen. Zum Schämen!
Hab ich vermutlich zur falschen Zeit gelesen: Als sich die Ereignisse überstürzten (Herbst89) erschien es in der zusammenklappenden DDR in der schwarzen Taschenbuchreihe „akzente“; neben anderen russischen Werken, die aus irgendeinem Grund bis dahin nicht durch die Zensur kamen.
Ich las das, fand es auch gut. Aber aus dem Stand hätte ich jetzt nichts mehr davon erzählen können.
Liegt vermutlich daran, dass ich abgelenkt war, von den vielen neuen Möglichkeiten:
– Sollte man jetzt noch Rudolf Bahros „Alternative“ kaufen, oder ist es dafür bereits zu spät?
– Warum schwärmen so viele von Charles Bukowski?
– Erst mal her mit allem vom Hesse, was noch fehlt…
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