Im Augenblick fehlt mir die liebe Zeit, längere und ausführliche Rezensionen anzufertigen – das Studium, das langsam, aber hoffentlich sicher, beendet werden will, lässt es nicht zu. Deswegen an dieser Stelle ein kleiner Überblick, der sich von den üblichen Artikeln hier unterscheidet und die Werke, die ich in den letzten Wochen aufschlug, bündig zusammenfasst und bewertet – frei nach dem Motto: in der Kürze liegt die Würze!
»Maschenka« ist der erste Roman von Vladimir Nabokov, den er im Alter von 26 Jahren nach der Russischen Revolution im Berliner Exil angefertigt hat. Der Protagonist Lev Ganin lebt mit einigen anderen russischen Emigranten in einer Pension und hat sein Lebensziel aus den Augen verloren. Eine Fotografie seines Nachbars, auf ihr ist seine Gattin abgebildet, verändert alles und weckt wieder Feuer in ihm. Ganin sieht drauf seine einstige Jugendliebe, die er nun wieder zurückerobern will, schließlich soll sie bald ebenfalls nach Berlin kommen. Sie ist es auch, die die Erinnerungen an die schöne Heimat zurückbringt.
Nabokov verarbeitet in seinem Erstling seine frühere Romanze mit Walentina Schulgin und blickt mit Heimweh auf die Vergangenheit, sprich Russland, zurück. Ein Debüt ist wie eine Knospe, die Entwicklung des Autors ist darin meist noch nicht abgeschlossen – ähnlich sieht es mit »Maschenka« aus, das Nabokovs Talent andeutet, aber noch nicht vollkommen entfaltet. Der Story fehlt es ein wenig an Pep, wenn auch die Darstellungen vom Berlin der zwanziger Jahre und der »Neuen Frau« unterhaltsam sein können: »Ein Betrunkener mit einer Melone auf dem Kopf wartete an der Ecke auf die Straßenbahn, obwohl schon seit mindestens zwei Stunden keine mehr verkehrten.«
[Buchinformationen: Nabokov, Vladimir (1999): Maschenka. Rowohlt Verlag. Aus dem Russischen von Klaus Birkenhauer. Titel der Originalausgabe: Машенька (1926). 183 Seiten. ISBN: 978-3-499-22546-8]
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Wesentlich besser gefiel mir da Nabokovs dritter Roman »Lushins Verteidigung«, der von einem liebenswürdigen Außenseiter und gleichzeitig Schachgenie handelt, welcher abseits der schwarz-weißen Felder nicht sozialisiert werden kann und autistische Züge verinnerlicht. Selbst eine Ehe will Lushin nicht retten, obwohl die Gattin ihm verbietet, sich nach einem Psychiatrie-Aufenthalt mit Schach zu beschäftigen, rätselt er heimlich immer weiter, mit welchen Zügen er seinen ärgsten Konkurrenten bezwingen kann – bis es zum »Selbstmatt« kommt. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen der Realität und dem Schachspiel. Zahlreiche geniale Bilder wie »Er zog seine Dame ein paarmal hin und her, wie man den Hebel einer beschädigten Maschine hin und her bewegt […].« oder »Als sie am Abend den Speisesaal betrat, lächelte sie ihm unwillkürlich von weitem zu, und er antwortete mit dem gleichen missmutigen, schiefen, halben Lächeln, mit dem er manchmal die Hotelkatze bedachte, die von Tisch zu Tisch schlich.« demonstrieren, was in Nabokovs Feder steckt.
»Lushins Verteidigung« wird als Nabokovs erstes Meisterwerk bezeichnet und ist wunderbar komponiert, wenn auch gleichzeitig trotz der Burleske eine traurige Angelegenheit – dennoch, ein ziemlich starkes Stück, das ich fast in einem Rutsch durchgelesen habe. Ein Muss!
[Buchinformationen: Nabokov, Vladimir (2014): Lushins Verteidigung. Rowohlt Verlag. Aus dem Russischen von Dietmar Schulte, bearbeitet von Dieter E. Zimmer. Titel der Originalausgabe: Защита Лужина (1929). 318 Seiten. ISBN: 978-3-499-22550-5]
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Der Däne Simon Pasternak wählt als Handlungsort für sein Debüt das Weißrussland im Jahre 1943, das größtenteils von den Nazis besetzt ist. Die beiden Freunde Heinrich und Manfred, beides SS-Männer, sind dort stationiert und wollen nach dem bestialischen Mord an SS-General Steiner, dem »Biest von Minsk«, das 70.000 Juden auf seinem Gewissen hat, für Aufklärung sorgen – er wurde von jüdischen Partisanen massakriert. Es beginnt eine absurde Suche nach den Tätern. Gar in Gulags wird gefahndet und es zeigt sich, dass der brutale Manfred mitschuldig ist und durchaus Hintergedanken dabei hatte. Detektiv Heinrich dagegen wird bei dieser Konstellation krampfhaft als ein guter Nazi (diskussionswürdig!) abgebildet, der immer fassungsloser wirkt, gleichzeitig immensen Druck ausgesetzt ist.
»Tote Zonen« wurde 2013 zum spannendsten Buch Dänemarks gekürt, nur war mir nach über 100 Seiten nicht klar, welchen Spannungsbogen dieser dialoglastige Krimi genau vorzuweisen hat. Scheinbar sollten Opfer in den Reihen der Täter (Nazis) aufgezeigt werden, den Plot fand ich allerdings dermaßen irrsinnig, dass nur ein Anlesen heraussprang – Chance vertan, sechs setzen!
[Buchinformationen: Pasternak, Simon (Oktober 2014): Tote Zonen. Knaus Verlag. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Titel der Originalausgabe: Dodszoner. 304 Seiten. ISBN: 978-3-8135-0646-4]
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Sergej Dowlatow (*1941 – †1990) ist mir – im Nachhinein zurecht – wärmstens empfohlen worden, worauf ich für den Anfang zu diesem kurzweiligen Erzählband griff. Nach seiner Ausreise in die USA findet der Erzähler nach Jahren den Koffer im Schrank wieder, mit dem er eingereist ist. Es ist das einzige Gepäckstück, das er aus der Sowjetunion mitnehmen durfte. Im Inneren des Koffers befinden sich zahlreiche Gegenstände, die mit Geschichten verbunden sind, und jedes Mal auf wundersame Weise zu ihm gelangten. Die finnischen Acrylsocken, die illegal erworben wurden, um das dicke Geld auf dem Schwarzmarkt zu machen, oder die vom Leningrader Bürgermeister gestohlenen Nomenklatur-Schuhe. Es fließt bei seinen Beschaffungen reichlich Fusel und dennoch kommt der Versager immer glimpflich davon. Jede Not macht ihn entsprechend erfinderisch.
Wladimir Kaminers Lieblingsschriftsteller erzählt mit viel Witz und verfasst zahlreiche Anekdoten über das Absurde in der Sowjetunion der 70er auf eine unterhaltsame Weise. Dowlatow kann ohne Frage über sich lachen – der Ich-Erzähler ist immer er selbst, passt damit gar nicht in das Bild vom schwermütigen russischen Literaten und erinnert mit seinem Humor an einen Wenedikt Jerofejew. Ganz bestimmt nicht mein letztes Dowlatow-Buch. Es dürstet nach mehr.
[Buchinformationen: Dowlatow, Sergej (2010): Der Koffer. Dumont Verlag. Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg. Titel der Originalausgabe: Чемодан (1986). 160 Seiten. ISBN: 978-3-8321-6116-3]
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Adelsmarschall a.D. Ippolit erfährt kurz vor dem Tod seiner verhassten Schwiegermutter, dass diese vor der Russischen Revolution den Familienschatz in Form von Juwelen in einen Stuhl einnähen ließ, damit dieser nicht von den Bolschewiki beschlagnahmt werden könnte. Es folgt eine verrückte Schatzsuche, der Kriminelle Ostap Bender, der große Kombinator genannt, schließt sich Ippolit ebenfalls an. Die Kompagnons folgen den Spuren der zwölf Stühle, die sich nach und nach überall im großen Reich zerstreuen – in einem von ihnen steckt der Reichtum. Ebenfalls auf der Hut ist ein eingeweihter Pastor, der Konkurrent. Die Jagd gestaltet sich bizarr, Wandlungen, Überraschungen, ein Ehebetrug, eine antisowjetische Partei wird gegründet, um Spenden einzusammeln, usw. Es sind die schrägen Einfälle des charismatischen Ganoven Ostap, durch den das Duo ihre Reise finanziert. Ob sie den wertvollen Stuhl finden werden, der ihnen immer wieder entgleitet? Fraglich!
Ilja Ilfs und Jewgeni Petrows »Zwölf Stühle« (1928) ist ein satirischer Roman, der zahlreich verfilmt wurde und in Russland immer noch an Popularität genießt. Den Verfassern ist nicht nur die Schnitzeljagd mit ihrem feinfühligem Sinn für Humor grandios gelungen, auch die vielen Kauze, denen Ippolit und Bender bei ihrer Suche begegnen, zeigen ein Abbild des postrevolutionären Russlands, in dem der Apparat äußerst seltsam funktioniert. Bis zur letzten Seite ein Heidenspaß!
[Buchinformationen: Ilf, Ilja & Petrow, Jewgeni (1975): Zwölf Stühle. Reclam Verlag. 328 Seiten. Aus dem Russischen von Ernst von Eck, bearbeitet von Claus Ulrich Wiesner. Titel der Originalausgabe: Двенадцать стульев (1928)]
yepp, lushins verteidigung hatte mir auch sehr gut gefallen, deine empfehlung kann ich nur unterstützen!
Definitiv ein Highlight! Gefällt mir im Nachhinein sogar besser als „Lolita“, da war gerade die erste Hälfte unerreichbar, während der zweite Teil irgendwie abfiel. Bei „Lushin“ gab es keinen Punkt, den ich kritisieren hätte können.
mit lolita bin ich nie warm geworden… ich habe das buch mehrfach angefangen und genauso oft wieder zur seite gelegt… aber lushin war/ist toll!
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