Einstellung, Talent, Ehrgeiz und Willen sind normalerweise die entscheidenden Faktoren für einen sportlichen Erfolg. Es ist deswegen wenig verwunderlich, dass die Nazis ihre Rassenauslegung nicht (immer) auf den Sport übertragen konnten, wenngleich die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin, bei denen die meisten Medaillen an das Deutsche Reich gingen, ihre Ideologie dadurch untermauerten. Stephanie Barts Roman setzt da an und beinhaltet mit dem Faustkämpfer Johann Rukelie Trollmann einen Helden, der eigentlich nach ganz oben gehört, allerdings an der politischen Situation zerbricht. Ein Champion, der Sinto ist, kann kein Champion sein, komme, was wolle. Bart schildet bemerkenswert Trollmanns tragische Karriere und Aufstieg, der von den Nazis um jeden Preis aufgehalten werden wird.
Adolf Hitler soll bei seiner Vision in »Mein Kampf« notiert haben, dass das Boxen eine »Kerndisziplin der körperlichen Erziehung im staatspolitischen Sinne« sei und unterstrich damit die Bedeutung des Boxsports. Ein Zigeuner als Repräsentant der deutschen Farben schien damit ausgeschlossen. Und doch mausert sich Trollmann, alles andere als ein blonder Arier, immer mehr zum Titelkandidaten und wird für seine provozierenden Darbietungen im Ring vom Volk geliebt. Nur dort ist er unantastbar, weil seine Wurzeln im Gefecht Mann gegen Mann ausgeblendet sind.
Doch der Boxverband stellt sich Trollmann wie anderen jüdischen Athleten, denen im Zuge der Reformen die Lizenzen entzogen werden, schnell in den Weg. Der Erste Vorsitzende, ein Choleriker, der selbst am liebsten die Rolle des Führers annimmt, aber mehr Charlie Chaplin in »Der große Diktator« gleicht, versucht Trollmann immer mehr in den Dreck zu ziehen. Hat er doch die Presse, die Funktionäre und die politische Macht hinter sich. Seinem Widersacher und dem Publikumsmagneten Trollmann werden glasklare Siege aus widrigen Gründen aberkannt und doch kommt Trollmann ausgerechnet zur Zeit der Säuberung und Arisierung zum erneuten Titelkampf. Kontrahent Adolf Witt soll alle Zweifel beseitigen und für den »Triumph der rassischen Stärke« stehen. Vergeblich, Trollmann ist ihm in allen Belangen überlegen.
Fest stand nur: Trollmann war ein Problem insofern, als der Titel des Deutschen Meisters eine Auszeichnung war, die verpflichtete! Man musste eine gewisse Persönlichkeit mitbringen, um dieser Auszeichnung würdig zu sein. […] Es ging um die nationale Ehre. Syphilis und Verrat gehörten dazu, nicht dazu gehörte Sinto. (S. 261)
Was nun?, denkt sich die Führungsriege, die einen ausgeklügelten und frevelhaften Plan als Ass im Ärmel hat. Trollmann soll endgültig demontiert werden. Für den Kampf gegen Gustav Eder muss er, der sich extra dafür seine Haare blond färben lässt, zahlreiche Auflagen einhalten, die ihn bei seinem Boxstil komplett eingrenzen. Trollmanns Protest gelingt zwar, ihm sind allerdings die Flügel gestutzt und bildhaft die Hände auf den Rücken gebunden. Eine vernichtende Niederlage, obwohl jeder Zuschauer für sich eingestehen muss, dass der wahre Sieger der fremdrassige Rukelie Trollmann heißen muss.
Möglich, dass der Beginn von »Deutscher Meister« samt den dargestellten bürokratischen Entscheidungen und Sesselfurzern etwas langfädig erscheint. Die Autorin hebt sich allerdings den brennenden Zunder für später auf. Der Kampf gegen Adolf Witt soll an dieser Stelle genannt werden, der fast 100 Seiten umfasst und grandios wiedergegeben wird. Bart schafft es, diesen atmosphärisch aufzusagen, mit all dem Drumherum. Es erinnert an ein Theaterstück, bei dem die Reaktionen der Besucher einfließen und den politischen Wind verdeutlichen. Für Freunde des Boxens (wie mich) ist der Roman ohnehin ein Genuss.
Er warf einen linken Haken gegen Trollmanns Ellenbogen und Rippen und eine brutalstmögliche gerade Rechte einen Daumen breit vor das Kinn des zurückweichenden Gegners und hechtete ihm in einen riesigen Sprung mit verhedderten Beinen und hartem Schwinger hinterher, und Trollmann neigte sich leicht zur Seite und hielt die Faust hin, und Witts Brustkorb schlug mit einem dumpfen Rums darauf auf. Unterbrochene Atmung, sekundenbruchteilkurzer Sauerstoffengpass in Witts Zellen, ein Wischer von Trollmann an Witts Kopf. Dann ging Trollmann rückwärts weiter, Witt folgte, und Witts Anhang litt, allen voran am tiefsten und schlimmsten der Erste Vorsitzende, der nun zusehen musste, wie dieser elende Zigeuner sich daranmachte, den Ring in Anspruch zu nehmen, als hätte er ihn bezahlt.
Immer in Rückwärtsgang und von Witt gefolgt zog Trollmann Kreise, Achten und Diagonalen und ging an den Seilen entlang, dass Beaujean den Kopf schüttelte: »Kinder, Kinder, man kommt sich vor wie beim Spanischen Dressurreiten.« (S. 214)
Ebenso möglich, dass Trollmann manches Mal etwas zu überzeichnet daherkommt. Sollen ihn seine Defensivkünste und die unkonventionelle Technik an Muhammad Ali erinnert haben. Dass er in Wahrheit nicht nur ein nationaler Meister geworden wäre, sondern ein internationaler wie Max Schmeling, wenn er die richtige Rasse hätte vorweisen können. Beurteilen wie Trollmann wirklich agiert hat und welche Türen ihm ohne den Nationalsozialismus offen gestanden hätten, lässt sich mir nicht.
Stephanie Bart erzählt gekonnt die Geschichte des Halbschwergewichts nach. Die Bücherverbrennung, der Verbot von jüdischen Geschäften … das Fundament für Hitlers Diktatur ist im Jahr 1933 gelegt. Johann Rukelie Trollmann, der später in einem Konzentrationslager umgebracht wird, wehrt sich im Ring vehement mit harten Bandagen gegen den Rassismus, nur vergeblich. Es soll nicht sein. Falsche Zeit, falsche Umstände. Die Kronen sollen sich andere aufsetzen. Doch ist der Sinto ein Meister der Herzen und hält an seiner Ehre fest. Bleibt die Erkenntnis: »Deutscher Meister«, ein besonderes und außergewöhnlich konzipiertes Werk, das auf die Bretter schickt, durch ungerechte, dreckige und offensichtliche Tiefschläge.
[Buchinformationen: Bart, Stephanie (August 2014): Deutscher Meister. Hoffmann und Campe Verlag. 384 Seiten. ISBN: 978-3-455-40495-1]
Weitere Bücher zum Thema Boxen, die in diesem Blog bisher besprochen worden sind:
[Bei den anderen Literaturbloggern wie Buzzaldrins Bücher, Literaturen, Der Buchbube oder Schöne Seiten stieß »Deutscher Meister« ebenfalls auf positive Resonanz. Weniger damit etwas anfangen konnten Buchrevier und Bücherwurmloch.]