Spannung zu erschaffen, heißt, übertreiben zu müssen. In Hollywood. In (alltäglichen) Erzählungen. Eigentlich überall. Nur selten passiert es – und im besten Fall, dass Dramatik ohne Überspitzung präsentiert wird. Jussi Adler-Olsen übertreibt es aber bei seinem Erstling, „Das Alphabethaus“, mit der Übertreibung. Es lebt zu sehr und ausnahmslos von irrsinnigen Zufällen. Von einem logischen Plot kann nicht die Rede sein.
Zwei Piloten, Bryan und James, stürzen gegen Ende des 2. Weltkriegs über Nazi-Deutschland ab. Sie fliehen, werden verfolgt und schaffen es, auf einen Lazarett-Zug aufzuspringen. Nichts ahnend werfen sie zwei arg gebeutelte Nazis aus ihren Betten und legen sich stattdessen in diese hinein. Sie nehmen neue Identitäten an, werden zu zwei hohen Nazi-Tieren und sind auf dem Papier psychisch labil. Tätowieren sich zudem mit Fingernageldreck (!) ihre Blutgruppen und hauen sich die Infusionsnadeln der Vorgänger in die Arme.
Ab geht es in ein Klinikum. Schon bald merken sie, dass sie nicht die einzigen Simulanten sind. Ein gewalttätiges Gespann, das irgendwelche Schätze draußen gelagert hat, kein Bock auf die Front hat und auf das Kriegsende wartet, macht ihnen die Hölle heiß. Sie müssen sich fraglichen Therapien wie Elektroschock-Behandlungen unterziehen und bekommen starke Tabletten verabreicht. Dann gelingt Bryan schier leicht und locker die Flucht, James dagegen liegt weiter ausgelaugt im Alphabethaus und wird ruhig gestellt.
Soweit so gut. Dem Leser werfen sich zwar einige merkwürdige Fragen beim Handlungsstrang auf, die jedoch (noch) beiseitegeschoben werden können. Beispielhaft ist da Bryans Figur, der Arno von der Leyen mimt (dieser soll sogar Kontakte zum Führer selbst gehabt haben). Weder die Ärzte noch irgendwelche Offiziere wissen jedoch überhaupt nicht, wie von der Leyen optisch aussieht. Hinterfragen nichts. Nehmen es einfach so hin.
Auf die Spitze wird es dann mit der Abstrusität im zweiten Teil getrieben. 30 Jahre sind mittlerweile vergangen. Bryan hat eine Familie, ist reich und wohlhabend. Ihn plagen jedoch Depressionen, musste er doch einst, seinen besten Freund im Stich lassen und hörte nie wieder von ihm. Er holt zum endgültigen Schlag aus und versucht es, James ein letztes Mal zu finden.
Die Schrägheit nimmt Kurs auf. Bryan reist nach Freiburg, ermittelt ein wenig und begegnet mir nichts, dir nichts den anderen Simulanten, die ihn quälten, aus dem Alphabethaus. Urplötzlich läuft er dann auch noch einer Pflegeschwester (Petra) aus der Zeit über den Weg. In irgendeinem Park. Einfach so. Hinzu kommt dann noch Frau Loreen, die ihrem Ehemann hinterher reist und ebenfalls Untersuchungen unternimmt. Das „Finale“ ist dann so banal wie nur möglich: James wird entdeckt, die bösen Nazi-Simulanten bekommen ihre Abreibungen.
Es ist alles ein großer, wirrer Quark. Die erste Hälfte nähert sich noch einem Thriller, der mehr oder weniger diesem Genre gerecht wird und an einigen Stellen Spannung erzeugt, jedoch inhaltlich zweifelhaft wirkt. Adler-Olsen verarbeitet darin seine psychologischen Kenntnisse (sein Vater war in diesem Bereich tätig). In Teil zwei wird es sonderbar, zu einfach und kitschig. Verbunden mit einem Ende, das dem Leser bei über 550 Seiten nicht für seine Standhaftigkeit belohnt. Dass das nicht Adler-Olsens Niveau sein kann, beweist er später mit Carl Mørck. Soll er zumindest, denn ohne die Serien gelesen zu haben, besteht zumindest bei mir wenig Antrieb, sich mit diesem Autor ausführlicher zu beschäftigen. Leider…