Markus Orths – Max

Mehrere Stunden betrachten sie ein Gemälde und sehen mit der Zeit mehr und mehr. Es gibt solche Menschen, die können verdammt lang auf ein Bild starren, meine Mutter zum Beispiel. Ich könnte mit ihr nicht in den Louvre gehen oder zu einer Ausstellung, weil ich bei der Betrachtung eines Werks spätestens nach fünf Minuten fertig bin – sie sich aber nicht lösen kann. Mit Kunst kann ich wenig anfangen. Vielleicht fehlt mir was; Geduld  oder eine bestimmte künstlerische Ader. Malen und zeichnen konnte ich nie, obwohl ich als junger Spund gesprayt habe. Was ich aber mag, sind kreative Köpfe, Andersdenkende und Individualisten. All das war zweifelsohne Max Ernst (*1891 – †1976). Und Markus Orths hat einen absolut gelungenen und empfehlenswerten Roman über das turbulente Leben von Ernst verfasst.

Jeder große Künstler benötigt seine Musen und auch Ernst hat sie. Sechs Frauen prägen ihn, sie dienen ihm als Quellen für die Inspiration. Gegliedert ist dieses Buch entsprechend nach den Beziehungen, die für Unterschiedliches sorgen: erste Liebe, Jungbrunnen oder Finanzkraft. Ernst nimmt viel von den Frauen, andererseits gibt er ihnen auch viel zurück. Lehrt und beeinflusst sie als Künstler.

Von Turbulenzen geprägt ist das Leben von Ernst auch, weil er zwei Weltkriege erlebt, in die USA flüchtet, mit seinem Schaffen Grenzen brechen und sich widersetzen möchte. Ernst gründet in Köln eine Dadaismus-Gruppe, schließt sich in Paris den Surrealisten an. »Er wolle keine Kunst schaffen, er wolle erneuern. Er sehe sich nicht als Könner, als Meister oder Genie, sondern als jemand, der alles in Frage stelle, was man als gegeben ansehe. Ein Rebell gegen Etabliertes, Kanonisiertes, gegen die Macht der Gewohnheit.« Und Ernst, ein Bohemien, strebt das »L’art pour l’art-Prinzip« (die Kunst um der Kunst willen) an: frei von kommerziellen Zwecken einfach nur Kunst entstehen lassen.

Markus Orths gewährt nicht nur Einblicke in die Biografie von Ernst, er spiegelt auch Eindrücke einer künstlerischen Epoche wider, die von Aufbrüchen lebt. Herrlich sind zum Beispiel die Pariser Kaffeehaus-Kultur oder die Experimente der Surrealisten beschrieben. Orths behandelt neben Ernst auch andere Kreative, Pablo Picasso oder Salvador Dalí tauchen wie viele andere ebenfalls auf. »Max« ist nicht nur ein Werk über Max Ernst, sondern über die Kunst-Szene des 20. Jahrhunderts. Sprachlich befindet sich der Autor ohnehin auf einem extrem hohen Niveau. Es lohnt sich dieses Buch nur wegen der Sprache zu lesen, weil sie so flexibel, manchmal Dada oder einfach nur verspielt ist.

Orths schildert das Leben einer Person, die gerne ein Vogel gewesen wäre und dann den lästigen Käfig seines Körpers abgestreift hätte. Und obwohl ich, wie anfangs beschrieben, weniger als andere mit Kunstwerken anfangen kann, nur kurz vor Gemälden verharre – mit diesem Stück hier hätte ich mich noch viel, viel länger beschäftigen können.

[Buchinformationen: Orths, Markus (August 2017): Max. Hanser Verlag. 576 Seiten. ISBN 978-3-446-25649-1.]

[Weitere Rezensionen auf Literatur leuchtet, Zeichen & Zeiten oder Zeilensprünge.]

 

 

 

 

 

 

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4 thoughts on “Markus Orths – Max

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