Pierre Bost – Bankrott

Ein Lehrer hat mal seiner Klasse gesagt: »Ihr sollt Fehler machen. Wer sie aber wiederholt, bleibt dumm.« Der Protagonist in »Bankrott« (1928) begeht allerdings einen Fehler, aus dem nicht gelernt werden kann. Der Chef eines Unternehmens verliebt sich in eine Angestellte, die seine Gefühle partout nicht erwidern will. An diesem Zustand scheitert er, geht nicht nur selbst zu Grunde, sondern auch seine Firma, die er angesichts seines Gefühlszustands ohne Reue in den Ruin treibt. Der französische Zwischenkriegsautor Pierre Bost (*1901 – †1975) verbindet in seinem Debüt die Komponenten Liebe und Ökonomie und kreiert ein Selbstzerstörungs-Szenario, in dem Arbeit sowie Privates nicht mehr getrennt werden kann – eine finanzielle und seelische Bankrotterklärung.

Pierre Bost - Bankrott

Der 45-jährige Brugnon hat das Unternehmen seines Vaters, das mit Zucker handelt, übernommen und ist für seine Entscheidungen, die wirtschaftliche Risiken mit sich bringen, bekannt. Von der Presse wird er für seine Waghalsigkeit kritisiert, für verrückt erklärt, was ihn jedes Mal strapaziert, bis hin zu Selbstgesprächen mit seinem Spiegelbild führen lässt. In seinem Betrieb gibt sich Brugnon, der stets expandieren möchte, als ein Selbstdarsteller. Er ist jemand, der seine Stellung demonstriert, Mitarbeiter herabstuft und Autorität verkörpert: »Und ebenso ist es notwendig, dass es Menschen gibt, die den anderen überlegen sind, etwa so wie diese wiederum über den Tieren stehen.« Aber ebenso liebt er den Job, schaltet als Letzter im Büro das Licht aus, schätzt Fleiß, hasst Faulheit und verabscheut Urlaube – ein Arbeitsfetischist. Abseits ist Brugnon mit der Buchhändlerin Simone zusammen. Beide wissen, was sie aneinander haben, wenn auch Simone ihrem Freund den Beischlaf verweigert, wodurch er anderen Damen Besuche abstattet.

Das Recht, über seinen eigenen Körper zu verfügen, das man am häufigsten dann anführt, wenn man sich nach Belieben jemanden hingibt, war für sie das Recht, sich niemanden hinzugeben, nicht einmal dem Mann, den sie liebte. Sie wunderte sich selbst über ihre Gefühlslosigkeit, die aber keine Kälte war. Wie jede andere Frau war sie der Zuwendung fähig, doch sie wusste nicht, was Verlangen war. (S. 46)

Brugnon trifft im weiteren Verlauf auf die Stenotypistin Florence, die neuerdings in seinem Betrieb arbeitet. Sie gehen zusammen aus, er schmeichelt ihr und entwickelt Gefühle für die junge Frau. Diese lässt sich gerne im Pariser Nachtleben chauffieren, blockt aber ab. Und Brugnon, der stets immer alles unter Kontrolle zu haben scheint, wird unglücklich. Er merkt, dass er keine zwischenmenschlichen Entscheidungen fernab seiner Position als Führungskraft treffen kann, die Geltung haben und umgesetzt werden. Als dem Unternehmen nicht mehr ganz so rosige Zeiten blühen und er gefragt ist, verliert er sich aufgrund seines Unglücks. »Florence beansprucht alles. Sie steckt in mir und verschlingt mich.« Auch weil er sie jeden Tag sieht, aber nicht bekommen kann, sie ihm ausweicht und er »eingesperrt« ist, seine Emotionen nicht ausleben darf, sich, wie man heute sagen würde, in einer Midlife-Crisis befindet.

»Wegen dieser Kleinen tue ich nichts mehr«, sagte Brugnon. »Sie können mich nicht wirklich verstehen. Wissen Sie, wie alt ich bin? Fünfundvierzig, geschlagen mit einem schweren Leben. Das ist etwas anderes als die Jugend. Und genau da hat mich Florence erwischt. Wenn Sie einen Augenblick lang, einen einzigen Tag in meiner Haut steckten, würden Sie das verstehen. Für Sie, mein Alter, was heißt schon, verliebt zu sein? Nichts – Sie waren es, Sie sind es, Sie werden es wieder sein, weiß Gott!« (S. 151/152)

Ja, sie hatte mit diesem zu großen Mann gespielt, mit einem Mann, der so stark war, dass auch seine Schwäche schrecklich sein musste. (S. 173)

Eine Sackgasse gebildet aus einer Einbahnstraße ist es, in der sich Brugnon befinden wird, der keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Der am liebsten seinem Leben ein Ende bereiten würde. Der immer noch vergebens hofft. Der verrückt wird. Der abschließen will. Der sogar seine einstige große Liebe, das Unternehmen, für das er so viel geschuftet hat, selbst ins Verderben ziehen wird – nach mir die Sintflut.

Pierre Bost hat einige interessante Figuren geschaffen: Egoist Brugnon, der sich selbst Nadelstiche versetzt, die er überträgt, weil er das Leid nicht besiegen kann. Simone, die weiß, dass Brugnon sie nicht mehr begehrt und eine andere will, ihm dennoch unter die Arme greift, als der Patient fast klinisch tot ist. Florence, die von einer künstlerischen Bestimmung träumt, aber sie nicht erreichen kann. Gleichzeitig erscheint der zeitliche Kontext in den 1920ern erwähnenswert: Die Industrialisierung Frankreichs schreitet voran. Frauen, darunter Stenotypistinnen, ahnen noch nichts davon, dass sie – einige Jahre werden noch verstreichen müssen – dem Mann ebenbürtig sein werden:

Man müsste nicht sehr weit gehen, ihr Stenotypistinnen, um euch als eine Art Symbol zu sehen, eines dieser bescheidenen Symbole, mit denen wir uns heute zufriedengeben. Ihr kleinen Mädchen, die ihr von hässlichen Maschinen eine künstliche Armut zeigt, jeden Tag aufs Neue und wiederholbar. Ihr parfümierten Frauen, deren Gesicht mit dem Gesicht bemalt ist, das ihr gerne hättet, da seid ihr kleinen Frauen von einer kalten, vernünftigen Maschine, die nur kann, was sie kann, wie seit jeher eine Frau vor dem Mann steht. Und es ist eure Hand, die anweist und führt, eure Hand, die die schwere Maschine ergreift und sie lenkt, sie zum Gehorsam zwingt. Es ist eure Hand, Stenotypistinnen, ihr Frauen, die ihr wie alle Frauen geboren seid, um zu befehligen, ohne darum zu wissen. Eure Hand, die hier die Führung an sich reißt wie überall, mit einer nachlässigen, unwiderstehlichen Geste. Aber ihr wisst davon nichts. Ihr habt es noch nicht begriffen, und die Männer hüten sich, euch einzuweihen. (S. 25-26)

Dass der Dörlemann Verlag (nicht nur optisch) wunderbare Bücher veröffentlicht, sollte bekannt sein. Und doch bestätigt er diese Annahme immer wieder aufs Neue, wie nun mit Pierre Bosts »Bankrott«. Wenn auch die Sprache des Franzosen nicht immer überwältigen kann, sich phasenweise nichts Nennenswertes finden lässt, worüber es sich zu verharren lohnt, handelt es sich um einen Roman, der sich abhebt, weil der Schriftsteller eine etwas andere Liebesgeschichte aus seiner Feder zaubert. Kein Kitsch, keine Klischees, keine Amor-Pfeile und Schmetterlinge, mehr und dafür eine dienliche Erzählung über das Scheitern.

[Buchinformationen: Bost, Pierre (19. August 2015): Bankrott. Dörlemann Verlag. Aus dem Französischen von Rainer Moritz. Titel der Originalausgabe: Faillite (1928). 260 Seiten. ISBN: 9783038200185]

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10 thoughts on “Pierre Bost – Bankrott

  1. Mir ist das Buch in der Vorschau aufgefallen – halb hat es mich gereizt, halb fürchtete ich, es könne etwas „kitschig“ sein aufgrund der Handlung…Dein Fazit beruhigt ja dahingehend. Ich schaue es mir in der Buchhandlung nochmals genauer an jetzt.

    • Mach das! Lass dich aber nicht von den etwas weniger gelungenen ersten Seiten blenden, die haben auch mir nicht besonders imponiert. 🙂 Am besten irgendwo mittendrin aufschlagen und testen.

  2. Das hört sich interessant an, v.a. auch weil das Buch ja ein Jahr vor dem Börsencrash erschienen ist. Das Ende der Roaring 20s und auch das Aufkommen finanziell unabhängiger Frauen als Quellen der Verunsicherung. Schöne Besprechung, danke.

    • Stimmt, guter Hinweis mit dem Crash. War mir nicht aufgefallen. Ansonsten, ja die Frauen erinnern teils an „Fräuleins“, die aus ihren ursprünglichen, traditionellen Rollen schlüpfen und mittlerweile andere annehmen wollen. Der Dank geht zurück!

  3. Hallo Ilja,
    Pierre Bost hat neben diesem Buch noch ein anderes Buch geschrieben, hast du das zufällig gelesen? Es müsste auch im Dörlemann Verlag erschienen sein, soweit ich weiß.
    Der Inhalt von Bankrott reizt mich schon irgendwie. Welche Figur daraus fandest du am faszinierensten?
    Liebe Grüße,
    Janine

    • Hallo Janine,

      du meinst „Ein Sonntag auf dem Lande“ (2013), das ich aber nicht gelesen habe.

      Welche Figur? Ich glaube Florence, in die sich der Protagonist Brugnon verliebt – eine Art ‚femme fatale‘.

      Beste Grüße und einen schönen Sonntag

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