»König Dame Bube« (1928) ist nach »Maschenka« (1926) Vladimir Nabokovs zweites Werk und ein deutliches Upgrade zu seinem etwas unrunden Debüt, in dem er sein Heimweh im Berliner Exil verarbeitet hat. Der Zweitling handelt von einer Dreiecksbeziehung, die dazu führt, dass jemand ausgeklammert, sprich, getötet werden soll. Aus drei soll zwei gemacht werden. Nur wie, wenn ein perfektes Verbrechen nur in den seltensten Fällen gelingen kann?
Provinzler Franz hat es geschafft, seinem Kaff den Rücken zu kehren und dank seines Onkels Dreyer, Besitzer eines Warenhauses und mit Martha verheiratet, eine Anstellung in Berlin zu finden. Seitdem arbeitet Franz nicht nur im Laden, sondern ist irgendwie – keineswegs zufällig – ständiger Gast im Hause des Ehepaares, das ein unterkühltes Verhältnis kennzeichnet. Martha zeigt ihrem Mann gerne die kalte Schulter und sah bei der Heirat nur eins: Einen gesellschaftlichen Aufstieg durch diesen neureichen, älteren Herrn, der sie im Grunde anwidert und langweilt.
Franz Anwesenheit ist da eine wohltuende Abwechslung. Schon länger beschäftigt sie sich damit, eine Affäre einzugehen, ihre Fantasie ausleben, da so etwas in ihren Kreisen als Normalität unter den Frauen gilt. Der (sexuell) unerfahrene, schüchterne, dennoch interessante Dorfjunge, der sie ebenso offenkundig begehrt, scheint das passende Objekt zu sein.
Wenn er aber mit Martha allein war, hatte er ständig das Gefühl eines sehnsüchtigen Drucks am oberen Ende seines Rückgrats; seine Brust fühlte sich beklommen, seine Beine waren weich; seine Finger bewahrten für lange Zeit die kühle Stärke ihres Händedrucks. Auf den Zentimeter genau schätzte er die Stelle ab, bis zu der sie ihre Beine zeigte, während sie durchs Zimmer ging und während sie mit überschlagenen Beinen dasaß, und fast ohne hinzuschauen nahm er den dichten Glanz ihrer Strümpfe wahr, die Schwellung ihrer linken Wade über dem rechten Knie; und die Falten ihres Rockes, gleitend, weich, geschmeidig, in denen man gerne das Gesicht begraben hätte. (S. 112/113)
Es kommt dazu, was unvermeidbar kommen muss: Beide beginnen eine heimliche Liaison, von der Dreyer nie erfahren wird, entwickeln Gefühle. Durch Luft und Liebe wird allerdings kein Tisch gedeckt. Ein teuflischer Plan soll Abhilfe schaffen: Denn sie wollen sich nicht nur von Dreyer befreien, was prinzipiell keine Erschwernis wäre, sondern sein Hab und Gut – aus seinem Testament ist herauszulesen, dass Martha alleinige Erbin ist. Letztlich schwebt beiden eine gesicherte Zukunft vor, die lediglich durch einen Mord realisiert werden könnte.
Nabokov gelingt es mit einigen exzellenten Kniffen, dass man sich auf der Seite der potentiellen Täter befindet, obwohl das Opfer im Grunde kein schlechter Mensch ist, dem ein Begräbnis zu wünschen wäre. Die ständige Aura der Liebenden wird mehrmals ausführlich heraufbeschworen, sodass ihnen eine offizielle Beziehung samt einer finanziellen Unabhängigkeit zweifelsohne gewährt werden sollte. Franz und Martha, die die dominante Rolle einnimmt, wägen ab. Gehen unterschiedliche Szenarien wie eine Vergiftung durch, bis sie endlich ein realistisches Attentat finden. »Ein Menschenleben war so gefährlich und schwer zu lösen wie Feuer; aber im Fall des Feuers musste es, musste es einfach eine allgemein akzeptierte natürliche Methode geben, das unersättliche Leben eines Menschen auszulöschen.« Stichwort Wasser; Dreyer kann nicht schwimmen – da sollte angesetzt werden.
Zwischenzeitlich kippt dann alles. Martha auf der einen Seite, die sich immer mehr hineinsteigert und fast krankhaft, Dreyers Umlegen plant. Franz auf der anderen Seite, der innerlich kapituliert, sich aufgrund seines laschen Charakters unterwirft, mechanisch agiert und den lieben Onkel eigentlich gar nicht mehr so recht unter die Erde kriegen möchte. Der in Martha plötzlich nicht das wie am Anfang sieht, stattdessen eine hässliche Kröte, die er am liebsten abschütteln möchte und die ihm gehörig mit ihrer Penetranz auf den Senkel geht. Und das Ergebnis? Am Ende bleiben tatsächlich nur zwei. Zwei Männer!
Gewiss darf in diesem Roman die Erotik bei dieser Konstellation nicht fehlen, die Nabokov später in aller Präzision und Vollkommenheit in seinem Meisterstück »Lolita« (1955) schildern wird. Hier ist sie, besonders bei der zitierten Stelle, ein ironisches Konstrukt mit all dem Drumherum:
Und dann geriet das Bett in Bewegung. Es machte sich mit diskretem Knarren auf seine Reise, wie ein Schlafwagen, wenn der Express aus seinem verträumten Bahnhof ausfährt. »Du, du, du«, stieß Martha hervor, presste ihn bei jedem Keucher zärtlich mit den Knien und folgte mit feuchten Blicken den Engeln, die mit ihren Taschentüchern an der sich immer schneller fortbewegenden Decke winkten.
Jetzt war das Zimmer leer. Gegenstände lagen, standen, saßen, hingen in jenen sorglosen Posen umher, die von Menschen gemachte Dinge in der Abwesenheit des Menschen annehmen. Das Pseudokrokodil lag auf dem Fußboden. Ein blau gefärbter Korken, der jüngst aus einem kleinen Tintenfass gezogen worden war, als Federhalter nachgefüllt werden musste, zögerte einen Augenblick und rollte dann in einem Halbkreis zur Kante des wachstuchbezogenen Tisches, zögerte erneut und sprang hinab. Mit Hilfe des peitschenden Regens versuchte der Wind, das Fenster zu öffnen, scheiterte aber. Im wackligen Kleiderschrank glitt eine blaue Krawatte mit schwarzen Punkten wie eine Schlange von ihrem Ast. Ein Heftroman, der aufgeschlagen bei Kapitel fünf auf der Kommode lag, überblätterte mehrere Seiten. […] »Franz« sagte Martha, ohne die Augen zu öffnen, »Franz das war das Paradies!« […] (S. 133-134)
Da wäre noch mehr Situationskomik, die absolut ins Schwarze trifft und die ich detaillierter aufführen würde, wenn es nicht den Rahmen sprenge: »[…] eine angemalte Hure mit einem abstoßenden Goldzahn blickte sie an und wippte mit dem Bein, und jedes Mal, wenn sie die Asche von ihrer Zigarette stippte, schenkte sie Franz ein halbes Lächeln.« Oder die Metaphorik, die ich an Nabokov so ungemein schätze: »Martha warf ihren orangenen Frisiermantel ab, und als sie ihre Ellbogen zurücknahm, um eine Kette umzulegen, kamen ihre engelhaft schönen bloßen Schulterblätter zusammen wie sich faltende Engel.«
Die Originalität Vladimir Nabokovs ist auch in »König Dame Bube«, obwohl die Grundrisse dieser unterhaltsamen Geschichte keineswegs ungewohnt und vollkommen neu erscheinen, zu spüren. Aber was Nabokov konnte, können/konnten nicht viele. Das Besondere liegt in dem Leichtfüßigen, das gepaart ist mit diesem Einfallsreichtum. Es ist dieser Witz, wenn es ans Eingemachte geht, schelmisch und leicht dreckig, der den Großmeister ausmacht. Aber auch die psychologischen Vorgänge weiß er, wie kein Zweiter wirkungsvoll abzubilden. Ebenso sollte die Fabulierkunst hervorgehoben werden, die dazu führt, dass man nichts anderes mehr auf der Welt tun möchte, als nur zu Nabokov-Büchern zu greifen. Derweil lasse ich alles stehen und liegen, für die nächste Erzählung des in Sankt Petersburg geborenen Schmetterlingsforschers. Ja, ja und betätige gleichzeitig die Euphorie-Bremse. Sie klemmt.
[Buchausgabe: Nabokov, Vladimir (1999): König Dame Bube. Rowohlt Verlag. Aus dem Russischen von Hanswilhelm Haefs. Titel der Originalausgabe: Король, дама, валет (1928). 413 Seiten. ISBN: 978-3-499-22552-9]
Klingt nach einer spannenden , kuriosen Geschichte….