Ja, Charles Bukowski (*1920 – †1994) hat polarisiert. Zwischen versoffenem, krankem und überschätzem Straßenpoeten bis hin zum gebeutelten Genie ist bei subjektiven Gutachten alles dabei. Im März hat sich sein 20. Todestag gejährt. Ein Argument sich mit einem Roman des ungewöhnlichen Künstlers zu beschäftigen, dessen Gedichte ich feier.
»Faktotum«, der zweite Roman des Autors, spielt in den 40ern und Bukowskis Alter Ego Henry Hank Chinaski treibt sich in verschiedenen amerikanischen Städten herum, sucht Arbeit, findet sie und verliert sie jedes Mal aufs Neue. Es ist ein immer wiederkehrendes Szenario. In vielen Kapiteln beginnt Chinaski in einem Unternehmen, um daraufhin am Ende entlassen zu werden. Mal schläft er ein. Mal betrinkt er sich. Mal begeht er einen Diebstahl. Mal hat er während der Arbeitszeit Geschlechtsverkehr oder legt sich mit irgendjemanden an. Die jeweiligen Kündigungen verwundern aber nur gering, besitzt Chinaski doch eine spezielle Einstellung:
Ich war nicht sehr gut. Meine Vorstellung von einem Job war immer, untätig rumzulatschen, dem Boß aus dem Weg zu gehen und den Spitzeln nicht aufzufallen, die mich beim Boß verpfeifen konnten. Nicht daß ich besonders clever war. Es war mehr Instinkt als sonstwas. Ich begann einen Job immer schon in der Gewißheit, daß ich ihn bald wieder aufstecken würde oder daß man mich feuern würde, und das gab mir eine innere Ruhe und Gelassenheit, die man fälschlicherweise für Intelligenz oder den Ausdruck geheimer Kräfte hielt. (S. 131)
Die Gelegenheitsjobs, die ihn unterfordern und nur dazu da sind, irgendwie über die Runden zu kommen? Klos putzen, Verpacken oder Hundekuchen backen zum Beispiel. Neben der Darstellung der verschiedenen Beschäftigungen trinkt Macho Hank nicht gerade in Maßen, hat reichlich Sex, setzt bei Pferdewetten und fordert gerne zu Faustkämpfen auf. Doch abseits der kurzzeitigen Anstellungen wird der Wunsch des abgebrannten Überlebenskünstlers und Nomaden deutlich. Der meist verkaterte und vorbestrafte Chinaski träumt davon, Schriftsteller zu werden (»Baby«, sagte ich, »ich bin ein Genie. Nur weiß das keiner außer mir.«) und von einer gesicherten Existenz, die er durch sein Schreiben erzielen will: »Ein Mann mußte auf etwas hoffen können. Mehr brauchte er nicht. Wenn es nichts für ihn zu hoffen gab, wurde er mutlos.«
Natürlich lebt Bukowski von seiner rabiaten und rohen Gossen-Sprache, die sich quer durch den dialoglastigen Text zieht. Sie lässt die Mundwinkel nach oben ziehen. Bukowski weiß, wie man Pointen kreiert. Sein trockener, vulgärer Humor, der sicherlich nicht jedermanns Sache ist, vor allem Feministinnen durch den Sexismus ein Dorn im Auge sein kann, ist omnipräsent.
»Zieh deinen Rock ein bisschen höher rauf.«
»Ne Schwäche für Beine, wa? «
»Yeah. Zieh deinen Rock ein bißchen höher. «
Sie tat es.
»Oh Mann, und jetzt höher, noch höher! «
»Hör mal, du bist doch hoffentlich nicht ‘n abartiger Typ, oder? Da gibt’s einen, der macht sich an Mädchen ran, liest sie von der Straße auf und schleppt sie in seine Wohnung ab. Dann zieht er sie aus und schneidet ihnen Kreuzworträtsel in den Bauch, mit nem Brieföffner. «
»Der bin ich nicht. «
»Und dann gibts welche, die ficken dich, und anschließend hacken sie dich in kleine Stücke. Hinterher findet man ein Stück von deinem Arsch in Playa Del Rey, in ein Abflußrohr hochgestopft, und deine linke Titte unten in Oceanside in nem Mülleimer …«
»Das habe ich mir schon vor Jahren abgewöhnt. Zieh deinen Rock noch ‘n Stück höher.« (S. 65)
Ansonsten hat der Roman hier und da seine Schwächen, da sich doch regelmäßige Leerläufe bemerkbar machen. Der Plot ist fast zyklisch, wirklich Turbulentes passiert nicht und der Großteil besteht aus Arbeitssuche, Übernahme, Hinauswurf – immer wieder … Dazwischen Alkoholexzesse, u.a. mal Sackläuse, Wiedergabe des Zerwürfnisses mit den Eltern, Träume und eine etwas ernstere Liaison mit der ebenfalls trinkfreudigen Jan. Auf der anderen Seite schafft es Bukowski, die Perspektivlosigkeit der Figur Chinaski wunderbar einzufangen, die ihr Talent nicht entfalten kann, stattdessen hirnrissige, stumpfe Arbeiten verrichten muss und auch deswegen zur logischen Konsequenz, der Flasche, greift.
Kritiker mögen »Faktotum« Beschränktheit vorwerfen, das wäre nachzuvollziehen, aber dennoch nicht ganz richtig. Denn Bukowski gelingt es mit seiner etwas anderen Art, einen anormalen Verlierer und Chauvinisten nachzubilden, der durch den Wolf gedreht wird, sich dennoch nicht klein kriegen lässt. Es immer wieder schafft, sich aus der Mangel zu befreien und dennoch kontinuierlich zum Scheitern verdammt ist.
[Buchinformationen: Bukowski, Charles (2003): Faktotum. Deutscher Taschenbuch Verlag. 16. Auflage. Aus dem Amerikanischen von Carl Weissner. Titel der Originalausgabe: Factotum (1975). 224 Seiten. ISBN 978-3-423-12387-7]
[Anmerkung: »Faktotum« wurde 2005 von Bent Hamer verfilmt, Matt Dillon spielte Chinaski. Meines Erachtens ist der Film eher schwach, langweilig und reproduziert die Message des Romans nur bedingt.]
Veranstaltungshinweis:
http://literaturarchiv.de/literaturhaus/programmarchiv/termin/article/all-about-hank-zu-leben-und-werk-von-charles-bukowski-1920-1994.html
ach, ich mag ihn sehr, den Buk, auch wenn man von ihm wohl bloss einen Roman lesen muss, um sie alle zu kennen. Bei mir war es der Mann mit der Ledertasche. Einen sollte man schon lesen vom Mann aus Andernach. Und dann lieber die Gedichte, die sind nachhaltiger.
Danke für die schöne Besprechung und schöne Grüsse
Kai
Genau, deswegen wollte ich mich auch mal endlich an einen wagen 😉 Seine Gedichte mag ich ebenfalls (mehr). Neulich habe ich mir die gesammelten „439 Gedichte“ (1000 Seiten, herausgegeben von Carl Weissner), zugelegt und blättere je nach Stimmung, die sich dadurch auch verbessern lässt, regelmäßig darin.
Grüße dich zurück, Kai!
Ich habe noch nichts von ihm gelesen, es hat mich bislang nicht gereizt. Ich hatte ihn – wahrscheinlich fälschlicherweise irgendwie in der Kategorie „Dick Lit“ so Hera Lind für Jungs – aber vielleicht sollte ich es einfach mal probieren und dann darf ich auch ne wirkliche Meinung haben 😉 Aber danke daür Herrn Bukowski auf meinen Radar zu schieben 😉
Prinzipiell bin ich gegen das Kategorisieren und rufe gleichzeitig auf, dem Dirty Old Man deswegen eine Chance zu geben 😉 Wollen wir mal gucken, ob er sie nutzt! 😛
Ich habe jetzt alle Originalausgaben auf dem Tisch – und ich muss sagen, da gibt es die gleichen Probleme wie bei Allen Ginsburg. Bukowski wird oft als „dirty old man“ verschrien, wenn man sich allerdings die Hintergründe (Auszüge aus seiner einzigen Lesung in der BRD hier), in der Sekundärliteratur reinzieht (Benno Käsmayr vom MaroVerlag, der ihn für Deutschland entdeckte (Augsburg) und Roni – Vorstandsvorsitzender der Charles-Bukowski-Gesellschaft / Andernach und Herausgeber des Jahrbuches (bju:k), wird man bei entsprechender Sprachkenntnisse eines anderen belehrt: Der so- und obengenannte „Plot“ ist nicht der Maßstab, ebensowenig wie der gern zitierte und vorgeblich autobiographisch verarbeitete Lebenswandel von „BJUK“ (das zweite Pseudonym neben „HANK“) – wahren Aufschluss gibt über die tatsächlichen Umstände.
In den nächsten Wochen werde ich meine Arbeit auf http://www.beatgeneration.be/ aufnehmen – und da ist Hank ebenso Protagonist wie Leonard Cohen und andere, weil sich der Begriff „Beat“ mittlerweile eben nicht mehr nur auf drei Personen / Literaten festmachen lässt.
Herrlich abgefuckte Kreaturen, die du in deinen Rezensionen gerne mal vorstellst. Auch bei dieser Rezension hat Joachim direkt Lust, Hanks Leben zwischen Genie und Wahnsinn besser kennenzulernen.
Pingback: bukowski (tod) | www.beatgeneration.be
Ja, man kann ihn der Sauereinen wegen lesen und unverstanden weglegen. Leerlauf im Plot ? Nö. Er ist ein Gossenphilosoph, der genau hinschaut, schnell durchschaut und nicht verklärt. Als ich ihn mit anfang 20 zum erstenmal in die Hände bekam, gefiel er mir nicht. Es lag an mir. Ich war zu jung. Mit 30 begann ich ihn Buch by Buch zu kaufen zu lesen zu feiern. Wann immer du mit deiner Situation unzufrieden bist, fühlen sich deine Jobs an, wie seine – das ist das Geheimnis seines Erfolges in Deutschland. Gerne hätte man seine (scheinbare) Leichtigkeit des Seins, aber ohne den Suff und die peinlichen Bekanntschaften – und eben das ist nicht von einander trennbar. Also harrt man aus, auf einmal eingeschlagenen „Karrierewegen“ und Hank Chinaski spendet Trost. „Bukowski fand die Poesie dort, wo sie niemand suchen würde – in der Gosse.“(Klappentextzitat, weiß nicht mehr aus welchem Band). STIMMT!
By the way: „Das Schlimmste kommt noch“ und „Das Liebesleben der Hyäne“ und aller guten Dinge sinder dreie: „Hollywood“ halte ich für einen Tick unterhaltsamer als „Faktotum“.
Merci für deinen Kommentar. Bukowski oder Hank als aufmunterndes Mittel, wenn der Job gerade gewaltig auf den Sack geht? Könnte man so stehen lassen und ihn in die heutige Zeit hineinversetzen. Sich fragen, wie Führungskräfte mit seinem Verhalten umgehen würden … 😀
Pingback: In diesem Jahr am liebsten gelesen | Muromez