Uff, diese Lektüre wirkt nach. Verdammt, diese Lektüre muss etwas auslösen, dort im Inneren. Egal, ob bei Weiblein oder Männlein. Denn Winklers Debüt ist kein typisches Gleichberechtigungs-Ding in formvollendeten Feminismus. Es zeigt Gewaltverbrechen – an Frauen und Kindern – drastisch, hart, ohne irgendwelche Filter. Und es ist eine Meisterleistung, wie sensibel Winkler dieses Thema behandelt – sie trifft den Ton und vergreift sich nicht.
»Wir müssen so leben, wir müssen so leiden, wir können uns nicht helfen,« heißt es von den Frauen. Filiz, in einem kurdischen Dorf aufgewachsen, ist eine von ihnen und die Person, die ihre Lebensgeschichte erzählt. Sie ist eine von denen, die den Blauschmuck tragen – dieser steht für Blutergüsse. Zugeführt von Männern. In Filizs Fall vom Ehemann. Als sie diesen heiratet, verliert sie. Ihre Familie, ihre Rechte, ihre Meinung, ihr Gesicht, ihren Körper, ihren Willen. Aus dem Subjekt wird ein Objekt. Aus dem lebensfrohen Mädchen eine identitätslose Sklavin in einer Burka, die misshandelt und vergewaltigt wird.
Die Autorin beschreibt Vorgänge, für die eigentlich die Sprache fehlt. Für die eher Tränen angemessener wären. Sie macht das auf nahezu poetische Weise. Hier passen die Wörter, wirken maßgeschneidert, nie überflüssig, weil sie sich nicht ins Nebensächliche verirren. Winkler ist das hoch anzurechnen. Gleichzeitig möchte der Roman auf wahren Begebenheiten beruhen. Kippt er dadurch Öl ins Feuer? Ist »Blauschmuck«, das auch eine Migration zeigt, nicht Futter für die Wutbürger mit ihrer Islamophobie? »Siehste, diese Schwarzköpfe passen mit ihrem Frauenbild und Verhalten nicht zu uns!«, höre ich sie reden. Und ich antworte ihnen: »Das hat nichts mit Islam, Koran oder Allah zu tun. Das sind Gräueltaten von Gottlosen!« Klappe zu! Aber vermutlich lesen solche Leute gar keine Bücher, insofern… Fakt ist, jetzt mal ganz ohne Pathos: dieses Werk berührt und schockiert. Ganz stark. Eine kleine Verneigung vor Katharina Winkler.
[Buchinformationen: Winkler, Katharina (Februar 2016): Blauschmuck. Suhrkamp Verlag. 196 Seiten. ISBN: 978-3-518-42510-7]
[Weitere (positive) Rezensionen von Bloggern auf 54books, Buchrevier, Buzzaldrins Bücher, Das graue Sofa, Die Buchbloggerin, kapri-ziös, Literaturen, literaturleuchtet, Mokita, Poesierausch, Ruth liest, Zeilensprünge. Kritisch wird dieser Roman dagegen auf Novellieren betrachtet.]
Ich habe Blauschmuck auch kritisch gesehen, kippt Blauschmuck Öl ins Feuer? Ja. Vielleicht hätte ich das Buch anders lesen können, hätte Filiz es geschrieben.
Interessant. Was hätte sich für dich geändert, wenn tatsächlich Filiz diese Stück geschrieben hätte? Wenn es kein Roman sondern eine Biografie wäre?
Was hätte sich für mich ändern können, hätte Filiz das Buch geschrieben? Vielleicht wäre ich näher an eine Figur herangekommen, die für mich große Probleme aufwirft: Den Ehemann und Vater der Kinder. Er ist keine Figur, eher eine schattenhafte Type, wo er auftaucht, gibt es Gewalt. In allen Variationen. Unerklärliche Gewalt, die noch nicht einmal mit einem Schulterzucken verübt wird. Die Sprache der Autorin ist schön, klar. Aber ich stoße mich daran: Alles selbst erlebt, wieso nicht selbst gesprochen? Die Sprache der Autorin macht Filiz zu Figur und nimmt ihr so Kraft, Autarkie und Stimme.
Das ist eine spannende Beobachtung. Aber schafft dieses Zurfigurmachen nicht auch erst die Distanz, um sich das Unerträgliche ansehen zu können? Traumatisierte sprechen oft in Stereotypen, wenn Sie überhaupt genug Distanz aufbringen, um über das Geschehene zu berichten. Es ist nicht immer ein Vergnügen, da zuzuhören. Wenn es durch die Filter einer schreibkundigen Person geht, kann das Erlebte erst „begreifbar“ gemacht werden. Meine Meinung und Erfahrung.
Heute im Radio hörte ich, dass Katharina Winkler für das Buch einen Literaturpreis erhalten hat. Einen wichtigen sogar. Und einen, den Ehrenamtliche, also nicht professionelle Literaturkritiker*innen, vergeben haben.
Interessante These – über Stereotype, Distanz und Filter – ich könnte in biograf. Werken Gegenbsp. bringen – nur ist der Blog nicht der rechte Ort. Ich hätte da auch noch was über Literaturpreise in petto, was den Rahmen hier absolut sprengen würde. LG, schreib mir gern! Tania
Ok, ich stecke nicht in meinen Thesen fest und bin neugierig auf Gegenteiliges!
Nun habe ich „Blauschmuck“ selbst gelesen und bin nicht vollkommen überzeugt. Auch wenn die Sprache sehr tragend und poetisch ist. Dadurch, aber, dass der Duktus und die Poesie die Geschichte trägt, bleibt wenig Raum für Tiefen oder Zwischentöne. Wobei ich auch sagen muss, dass es gut ist, dass diese Geschichte so eindringlich erzählt wird. Gespalten.
Bin eher in der Fraktion „zwiegespalten“ zu finden. Sprachlich ein sehr klares Buch, bringt es die Gewalt auf das nötige Maß, um es erträglich werden zu lassen. Jedoch finde ich mich auch teilweise auf Tanjas Seite wieder, jedoch mehr aus Sicht, dass ich der Gewalt irgendwann überdrüssig wurde. Es gab keinen Konterpart dazu, nur die Sicht von Filiz. Trotz allem ist es aber ein wichtiges Buch, keine Frage
Da bin ich wohl der einzige, der dieses Buch noch nicht gelesen hat. Ich kannte es noch nicht einmal. Umso mehr danke ich Dir für diese Vorstellung.
Vielleicht hat es wirklich seine Schwächen – die kann ich nicht beurteilen. Dies ändert aber nichts daran, dass es Themen gibt, die erzählt werden müssen und an die sich nur wenige versuchen/herantrauen. Da bin ich dankbar für jeden Beitrag, der ein solches Tabuthema bricht.
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