Russ Kick (Hrsg.) – Weltliteratur als Graphic Novel (Band 2)

Bereits der erste Band war ein Schmankerl, beschäftigte sich vordergründig mit der Frühzeit. Sprich mit Werken, die man eigentlich so gar nicht auf dem Schirm hat. Die Fortsetzung geht auf der Skala etwas weiter und nimmt sich das 19. Jahrhundert vor. Wieder ist ein extrem vielschichtiges Werk entstanden, eine Anthologie mit einer Fülle von unterschiedlichsten Künstlern, wieder sind Ausschnitte aus Klassikern verschiedentlich grafisch verarbeitet worden.

Russ Kick (Hrsg.) – Weltliteratur als Graphic Novel (Band 2)

Nun bringt der Kanon-Begriff ein wesentliches Problem mit sich, weil dieser individuell interpretiert werden kann. Wenig verwunderlich, dass der amerikanische Herausgeber – der Titel »The Graphic Canon« spricht für sich – diesen angelsächsisch deutet. Mehr als die Hälfte der grafischen Adaptionen beruhen auf englischsprachige Originale. Ein Glück, dass der Galiani Verlag noch ein wenig an der deutschen Ausgabe geschraubt hat und Goethe, E. T. A. Hoffmann oder Büchner mit reingepackt hat. Andernfalls wäre es doch äußerst merkwürdig gewesen, bei so einer Veröffentlichung auf wichtige hiesige Vertreter zu verzichten.

Und dennoch wurden – natürlich – einige Persönlichkeiten vergessen, wenn man den Blick in Richtung Osten wendet. Von den Russen sind lediglich Tolstoi (»Anna Karenina«) und Dostojewski (»Verbrechen und Strafe«) dabei, aber genauso hätte man als Kontrast zu Dickens, Twain oder Poe den Kollegen Gogol (»Die toten Seelen«), Gontscharow (»Oblomow«) oder Turgenew (»Väter und Söhne«) eine Plattform geben können. Aber wie bereits festgehalten: Kanon gleich Auslegungssache. Es jedem Recht machen? Unmöglich!

Ansonsten findet sich eine schiere Bandbreite an Arbeiten: Lyrik, Romantik, Moderne, Märchen. »Faust«, von Flix angefertigt, erscheint in neuem Gewand mit Aktualitätsbezug. Gott schlürft einen Ramazotti mit Eis und Schirmchen, hängt am PC und nutzt ein Schöpfungsprogramm, während die Zahl der Stammkunden sich reduziert. Insgesamt erscheint es relativ schwierig, Favoriten zu picken. John Pierards überladene Adaption von Ludlows »Der Haschisch-Esser« in schwarz-weiß gefällt ebenso wie J. Ben Moss eher minimalistische, aber eindrucksvolle Illustration von »Huckleberry Finn« oder John Coultharts detailliertes »Bildnis des Dorian Grey«. Matt Kishs »Moby-Dick«-Darstellung ist ohnehin hohe Kunst. Andererseits stellt sich die Frage, warum manches Mal wie bei Poes »Schwatzende Herz« der Text überwiegt und nur ein kleines Bild eingefügt wurde. Müsste nicht Sinn der Sache sein.

Einblicke in die amerikanische Ausgabe:

 

Ganz unrecht hat Russ Kick in seiner Einleitung nicht: »Klassische Literatur ist aufregender, aktueller und subversiver, als viele glauben. Ihr Ruf langweilig zu sein, ist größtenteils auf die Art und Weise zurückzuführen, wie sie in einem Bildungssystem vermittelt wird, das ihr jedes Leben austreibt und sie in staubtrockene Materie für Analysen und Prüfungen verwandelt.« So bietet dieser dicke und unhandliche Klotz eine gelungene Abwechslung, sich mit Weltliteratur zu beschäftigen, zumal die textlichen Einführungen zu den Werken informativ erscheinen. Auch einige Namen und Titel, die ich bisher noch nie vernommen habe, sind mir aufgefallen und werden sicherlich auch anderen regelrecht ins Auge stechen.

Einen Fehler darf man sich allerdings nicht erlauben: Wie für den Louvre lediglich zwei Stunden einzuplanen und alles dort Ausgestellte in diesem Zeitraum regelrecht abarbeiten zu wollen. Das gelingt nicht, wird der Arbeit nicht gerecht und hat wenig Nutzen. Denn gewisse Illustrationen benötigen den Moment und eine gewisse Spanne, um sich zu entwickeln – wie Kunstwerke eben. Teil drei behandelt übrigens das literarische 20. Jahrhundert. Freudig können bereits die Hände gerieben werden.

[Buchinformationen: Kick, Russ (Hrsg.) (November 2015): The Graphic Canon. Weltliteratur als Graphic Novel (Band 2). Galiani Verlag. 380 Seiten. ISBN: 978-3-86971-079-2]

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