Imran Ayata – Ruhm und Ruin

»Entscheidend is auf’m Platz«, heißt eine viel zitierte Weisheit. In »Ruhm und Ruin« ist jedoch vor allem entscheidend, was neben dem Platz passiert. Und dort passiert bei einem deutsch-türkischen Kiezverein so einiges. Imran Ayatas Roman handelt nicht nur vom Fußball, es geht um mehr. Um Integration, Vorurteile, Klischees, Homophobie, Feminismus – und vor allem um eine erfolgslose Identitätssuche in Almanya. Ein erfrischendes Werk, das darauf hindeutet, wo es zwickt.

Imran Ayata - Ruhm und Ruin

Einst war der Club erfolgreich. So erfolgreich, dass er fast in die Zweite Bundesliga aufgestiegen ist und damit einen Platz im Profifußball eingenommen hätte. Doch die rosigen Zeiten, auf die liebend gerne zurückgeblickt wird, sind vorbei. Seitdem geht es bergrunter statt hoch. Elf Geschichten handeln davon. Es kommen Figuren zu Wort, die alle mit dem Verein, dessen Name nie genannt wird und der in einer Großstadt beheimatet ist, verbunden sind. Elf Geschichten, die in der Ich-Form erzählt werden und Interview-Transkriptionen gleichen, ohne dass der Fragensteller sich einmischt.

Da wäre Arda Toprak, der Maradona in seinem Kiez, der davon träumt, raus aus dem Elend, Mittelmaß, seiner »Hood« zu kommen und Star zu werden – sich aus »der Liga der Verdammten« herauszuspielen. Leider platzt diese Seifenblase, obwohl er bereits im Trikot eines Bundesligaclubs steckte. Verletzungen beenden seine junge Karriere und der Vater, sein Manager, der nur auf das Geld aus ist, trägt eine Mitschuld. Zerbricht am Ende daran, dass der Goldesel seine Schuhe an den Nagel hängen muss und landet in der Psychiatrie.

Davon ab ist vor allem interessant, wie die Vereinsstrukturen aussehen. Der Verein befindet sich in einer Findungsphase – Multikulti? –, die nicht vorangeht und weiß selbst nicht, welche Richtung er einschlagen soll. Ein Investor und Unternehmer wird vom Hof gejagt, weil der Sport nicht kommerziell werden soll – Fußballromantiker sind sie schließlich alle, unabhängig davon, dass der Insolvenzverwalter bald anklopfen wird. Aber auch »Betonköpfe«, die zu »traditionalistisch« sind, »um den Verein eine neue Identität zu geben«, lautet eine Meinung. Eine andere: »Seit Jahrzehnten geht es um Integration und bunte Vielfalt, um dies und das. Die sollen sich um Fußball kümmern und nicht Parlament spielen.« Politik ist sowieso ein beliebtes Thema bei den Gastarbeitern der zweiten und dritten Generation um Komünist Yusuf: die Kurden und PKK, der Kapitalismus (»Gier ist seine Hefe«), der Neoliberalismus.

Sie wehren sich vehement dagegen, dass der Verein politisch instrumentalisiert wird. Das ist eine infame Lüge. Natürlich ist unser Verein eine hochpolitische Veranstaltung. Wir bilden Koalitionen, schmieden Bündnisse und hecken Umsturzpläne aus. Mal übernehmen die türkischen Nationalisten das Ruder, dann stellen die Linken das Präsidium. Unser Verein ist Labor für Machtspiele. Es geht darum, wer das Sagen hat. Es geht um den Konflikt der Generationen und Geschlechter. Es geht um Fußball, es geht um unseren Alltag. Es geht um unser Leben. Vor allem aber geht es immer drunter und drüber. (S. 109)

Insgesamt manifestiert sich ein Bild von Menschen mit ausländischen Wurzeln, die eine Generation repräsentieren, »die endlich Schluss macht mit dem Gastarbeiter-, Ausländer- und Migrantensyndrom«. Die zwar sagen, dass sie die »neuen Deutschen« sind, innerlich aber weltfremd und nicht zeitgemäß erscheinen. Sich an die Werte ihres Ursprungs klammern. Im Grunde ist genau das eigentlich überhaupt nicht verwerflich, sondern legitim, nur geben die Raki schlürfenden Mitglieder vor, etwas zu sein, was sie nicht sind und nicht sein können. Für Homosexualität wird zwar geworben, küssen sich aber zwei Gleichgeschlechtliche aus der weiblichen Fußball-Abteilung, ist es mit der Toleranz vorbei. Dass immer noch Ressentiments bestehen, wird deutlich, wenn das Team in der Provinz aufläuft und von den Zuschauern im Dorf mit dem Hitlergruß begrüßt wird – die Gegner im Umkehrschluss als »Kartoffelboys« bezeichnet werden.

Dem Autor gelingt es, all diese Probleme gekonnt zu verknüpfen. Stilistisch findet sich hin und wieder eine Jugendsprache vor, wenn z.B. der Kiez-Maradona spricht. Sämtliche Figuren sind (bewusst?) überzeichnet und verdeutlichen Klischees, wie der Vollblutitaliener und Machismo, Guiseppe, der Romeo, der den ganzen Tag nur Amore machen und originale Pizza – nicht von den Arabern und Türken geformte – essen will. Dieses Spiel mit den Stereotypen ist unterhaltsam, nie böswillig und gemein. Wäre der Name des Schriftstellers Adalbert Müller-Schmidt, wäre diese Darstellung womöglich problematischer …

»Ruhm und Ruin« kann was, zweifelsohne. Der Roman kratzt nicht nur an der Oberfläche und dreht sich nicht nur um 22 Idioten, die einer Kugel hinterherjagen oder um »Taktik-Maktik«, »Trikots-Mikots«, »Stutzen-Mutzen« (zitiert wird Arda). Manchmal erinnert dieser mit seinen Elementen an Filme von Fatih Akin, verdeutlicht vor allem konkret, dass Sport und Politik nicht zusammengehören. Fasst vor allem das Thema Generation-Migration an. »Wir müssen alle mal raus aus der Komfortzone. Egal, ob arabische, türkische, kurdische oder deutsche Familien – Rückzug ist feige«, sagt Protagonistin Angela. Man könnte ihr zustimmen. Vor allem in Zeiten wie diesen.

[Buchinformationen: Ayata, Imran (Oktober 2015): Ruhm und Ruin. Roman in elf Geschichten. Verbrecher Verlag. 200 Seiten. ISBN: 9783957321251]

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