Andrej Kurkow – Jimi Hendrix live in Lemberg

Die Kennzeichen von dem auf dieser Plattform schon öfters erwähnten Andrej Kurkow sind sein origineller Humor und die Begabung, sich unheimlich skurrile Zeitgenossen auszudenken. In seinem neusten Roman »Jimi Hendrix live in Lemberg« bestätigt der sympathische Ukrainer sein Können. Herausgekommen ist eine herrliche Geschichte voller raffinierter Einfälle: kurkowesk eben.

Hat Kurkow an Hendrix bevorzugtem Kraut gerochen oder wie lassen sich seine Ideen erklären? Ein Ex-KGB-Hauptmann (Rjabzew), der sich als Hendrix- und Taubenfan herausstellt. Andrej Kurkow – Jimi Hendrix live in LembergEin Mediziner (Taras), der mit seinem alten Opel behandelt, Patienten durch Lemberg kutschiert und sie durch die unterschiedlichen Vibrationen der Kopfsteinpflaster, Schlaglöcher von ihren leidigen Nierensteinen befreit. Eine Frau (Darja), die in einer Wechselstube arbeitet und durch den Kontakt mit Geld (ein Symbol?) Ausschlag bekommt. Alte Hippies, darunter Alik, die sich einmal im Jahr am Lemberger Grab von Hendrix treffen und ihm gedenken, weil dort seine Hand liegen soll. Purple haze, all in my brain? Könnte …

Die ausgefallenen Charaktere sind einsame Klasse, die Story dagegen plätschert manchmal vor sich hin. Negative Schwingungen liegen in der Lemberger Luft. Aggressive Möwen tauchen auf, obwohl weit und breit kein Meer zu sehen ist, und attackieren. Merkwürdige Gerüche entstehen und ein besoffener Matrose treibt regelmäßig sein Unwesen, der seinen Herzschmerz auf die Umgebung überträgt. Doch eine Ursache für diese Zwischenfälle lässt sich nicht finden. Beide zentralen Figuren, Alik und Taras, fühlen diese Abweichungen.

Neben diesem Seemann hatte Alik, als er wieder nüchtern wurde, das Zittern verspürt, das ihn schon mehrmals nachts in den Straßen von Lemberg überkommen hatte, er hatte genau die Angst verspürt, die auf das Zittern folgte und ihn daran gehindert hatte, seinen Weg fortzusetzen. Und sein Herz, über dessen unscheinbare und schmerzlose Existenz in seiner Brust Alik sich immer freute, hatte so weh getan wie nie zuvor. (S. 326-327)

Alik freundet sich mit Rjabzew an, Taras kommt mit Darja zusammen. Die Handlungsstränge der Protagonisten laufen nebeneinander her und es ist schade, dass sie sich kaum treffen, was der größte Makel in diesem Buch ist. Zwischendurch streut Kurkow weitere Kuriositäten und bizarre Personen, darunter auch seinen Schriftsteller-Kollegen Jurij Wynnytschuk*, ein. Im Finale wird das Übel beseitigt und verfrachtet. Auch wird durch Rjabzew deutlich gemacht, wie sich das KGB während der Sowjetunion gegenüber der Hippiebewegung verhielt und was es mit dem angeblich geplanten Konzert von Hendrix in Lemberg auf sich hatte.

Wie der Großteil der Werke von Andrej Kurkow liest sich auch »Jimi Hendrix live in Lemberg« geschmeidig weg und hat die Lacher auf seiner Seite. Die märchenhaften Helden sind liebevoll gestaltet, positiv verrückt, aber genau deswegen einzigartig und verdammt kreativ. Von Kurkows Esprit und Ironie kann man nicht genug bekommen.

[*Kurkow tritt im Gegenzug in Wynnytschuks Roman »Im Schatten der Mohnblüte« auf, beide betreiben etwas Ping Pong und spielen sich damit die Bälle zu.]

[Buchinformationen: Kurkow, Andrej (Oktober 2014): Jimi Hendrix live in Lemberg. Diogenes Verlag. Aus dem Russischen von Sabine Grebing und Johanna Marx. Titel der Originalausgabe: Lwowskaja gastrol Jimi Hendrixa (2012). 416 Seiten. ISBN: 978-3-257-06871-9]

[Eine positiv gestimmte Rezension findet sich auch bei Pop-Polit. Empfehlenswert auch das Interview mit der Taz, in dem Andrej Kurkow über diesen Roman spricht.]

Weitere Bücher von Andrej Kurkow, die in diesem Blog bisher besprochen worden sind:

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9 thoughts on “Andrej Kurkow – Jimi Hendrix live in Lemberg

  1. Picknick auf dem Eis habe ich soooo geliebt! Freue mich, dass sein neuester Roman von Dir so positiv rezensiert wurde. Habe irgendwo einen fürchterlichen Verriss gelesen – wäre ja eigentlich durchaus Zeit mal wieder einen Kurkow zu lesen nach so vielen Jahren …

    • „Picknick auf dem Eis“ ist auch mein absoluter Favorit von ihm, was mich automatisch zum Fan gemacht hat. 🙂 Bisher stehen auch alle Werke von ihm im Schrank. Die Geschichte in Lemberg gehört definitiv zu den besseren.

      Verriss? Wo?

      • Ich komm gerade nicht drauf wo ich es gelesen habe. Sag Dir aber Bescheid, wenn es mir wieder einfällt.

        Ich hab literweise süßen Schwarztee getrunken bei der Lektüre von „Picknick auf dem Eis“ und Sardinen auf Toast dazu gegessen (!) das ist mir irgendwie in Erinnerung geblieben – ist aber schon gefühlte 1000 Jahre her 😉

      • Nicht schlecht 😀 Und ich habe ständig meinem Umfeld Stellen vorlesen müssen – wir haben mehrmals zusammen gelacht. Da sind einige Momente mit Mischa bei, über die ich immer noch schmunzele.

        Btw: „Picknick auf dem Eis“ wird gerade verfilmt, darauf freue ich mich auch schon 😉

    • Unbedingt! 😉 Lemberg ist außerdem durch ihn und auch durch Jurij Wynnytschuks „Im Schatten der Mohnblüte“ auf jeden Fall ein Reiseziel geworden, das ich bald mal ansteuern werde 🙂

  2. Pingback: Rückkehr zur Monarchie – Andrej Kurkow im Interview | Muromez

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