»Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann«, sagt Don Vito Corleone alias Marlon Brando und prägt damit diesen Satz. Denn dieser steht in einer Riege mit filmgeschichtlich relevanten Aussagen wie z.B. »Dumm ist der, der Dummes tut« (Forrest Gump), »nach Hause telefonieren« (E.T.) oder »Hasta la vista, baby« (Terminator). Der von Francis Ford Coppola verfilmte Streifen »Der Pate« (1972) war ein Kassenschlager, die Kritiken überschlugen sich, wodurch dieser den Oscar (1973) für den Besten Film (an Produzent Albert S. Ruddy), Besten Hauptdarsteller (an Marlon Brando, der diesen aufgrund der unterdrückten Bürgerrechte der Indianer ablehnte) und das Beste adaptierte Drehbuch (an Mario Puzo und Francis Ford Coppola) erhielt. Eben dieser Mario Puzo (*1920 – †1999) lieferte auch die Romanvorlage für den erfolgreichen Film. Zwar hatte der in New York geborene Puzo tatsächlich Wurzeln in Italien, mit der italienischen (oder amerikanischen) Mafia kam er allerdings nie in Berührung, sodass er sich sein Wissen durch Recherchearbeit angeeignet hat. Puzos »Der Pate« war ein absoluter Bestseller und verkaufte sich von 1969 bis 1997 unglaubliche 21 Millionen Mal.
»Der Pate« ist weniger ein Thriller, sondern eine Art Familienchronik samt Drama, Gewalt, Tod, Kabale, Liebe. An der Spitze der Hierarchie und auf dem Thron befindet sich Don Vito Corleone. Er zieht die Fäden, unterhält Kontakte zu den Behörden, Politikern und anderen Kriminellen. Sein Wort hat Gewicht. Sein Name flößt Respekt ein. Der Don empfängt Besucher, die ihm ihre Anliegen und Probleme vortragen, hilft dann auf einer »freundschaftlichen Ebene« und behält stets sein Vorgehen bei: Wenn er jemanden Gefälligkeiten erweist, wird das Gegenüber irgendwann ihm auch mal helfen müssen. Eine Hand wäscht die andere.
Er machte keine leeren Versprechungen, noch gebrauchte er die feige Ausrede, ihm wären von Stellen, die mehr Macht besäßen als er, die Hände gebunden. Es war nicht notwendig, dass er ein Freund des Bittstellers war, es war nicht einmal wichtig, dass man die Mittel besaß, um ihn für seine Mühen zu belohnen. Nur eines wurde verlangt: dass der Bittsteller ihm selbst Freundschaft schwor. Dann nahm sich Don Corleone gerne den Angelegenheiten des Mannes an, wie arm oder unbedeutend dieser auch sein mochte. Und nichts konnte ihn daran hindern, die Probleme seiner Schützlinge zu lösen. Sein Lohn? Freundschaft, der ehrfürchtige Titel Don und manchmal die herzliche Anrede padrino. Und hie und da vielleicht ein bescheidenes Geschenk: eine Gallone selbstgekelterten Weins oder ein Korb gepfefferter , extra für seinen Weihnachtstisch gebackener Kuchen – aber niemals wegen des Profits, sondern einzig als Zeichen des Respekts. Die Beteuerung, man stehe tief in seiner Schuld und er habe das Recht, jederzeit zu verlangen, man möge diese Schuld durch eine Gefälligkeit abtragen, war eine reine Formsache. (S. 12/13)
Alles läuft nach Plan. Der Don, umringt von seinen Söhnen Michael, Santino, Frederico sowie seinem Consigliere, Berater Tom Hagen und anderen Gefolgsmännern, kontrolliert New York kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Offiziell beschäftigt sich der Padrino mit Olivenölhandel. Inoffiziell mit u.a. Glücksspiel und Alkoholschmuggel. Von Drogen will er nichts wissen und das ist ein Problem für die anderen Familien, die darin ein florierendes Geschäft sehen. Don Corleone wägt ab und entscheidet sich aus moralischen Gründen gegen einen Einstieg. Er wird fast tödlich verwundet und die Corleones müssen sich neu aufstellen. Das zieht einen Mafiakrieg mit sich und hinterlässt ein Schlachtfeld. Noch können die Söhne Vito nicht ersetzen, doch nach und nach wächst der jüngste, Michael, der sich sonst aus dem Business heraushielt, in diese Position hinein und wird der Nachfolger, der das Blatt zum Wenden bringt und das Corleone-Imperium aus dem Schlamassel zieht. Natürlich muss er vorher einige Hürden beseitigen. Natürlich läuft nicht immer alles nach Plan. Ein Bruder und viele anderen müssen sterben und er zwischenzeitlich ins Exil verschwinden, in dem er ebenfalls fast umkommt.
Wie kommt es eigentlich dazu, dass der Leser für eine hochkriminelle Figur wie Don Vito Corleone Sympathie empfinden kann? Das ist die zentrale Frage, die ich mir beim Lesen besonders und vielmals stellte. Vielleicht weil sie einen wichtigen Aspekt vereint –Unabhängigkeit fordert. Blendet man das aus, verkörpert sie außerdem einen charismatischen Mann, der vorher lieber Meinungsverschiedenheiten mit Worten klären will, bevor er zum Griff der Schießeisen aufruft. »Er äußerte nie eine Drohung. Er argumentierte, und seine Logik war immer bestechend.«
So handelt der Don oft moralisch einwandfrei, wobei er sich selbst ein System kreiert, das eine Skala beinhaltet, worauf abgelesen werden kann, was für ihn vertretbar ist und was nicht. Daraus folgend fungiert der Pate wie ein Superheld, als ein Rächer der Gerechten, der sich dann einschaltet, wenn z.B. eine junge Frau von Hitzköpfen vergewaltigt wurde und diese vom Gericht dafür freigesprochen wurden. Heißt, dass er wie ein soziales Organ auftritt.
Der ehrenhafte und loyale Vito Corleone (»Wenn ein Blitz einen seiner Freunde trifft, würde der Alte das persönlich nehmen.«) versucht sich aus einer Gesellschaft voller zweifelhaften Regeln und Gesetzen auszugliedern, um seine eigenen autonomen Wertvorstellungen zu etablieren. Er wählt die Selbstjustiz und die sizilianische Omerta, das Gesetz des Schweigens, mit der Polizei nicht zu kooperieren. Sich ihrer Macht nicht zu unterwerfen, da die Beamten selbst Ordnungen umgehen und nach ihren eigenen Prinzipien handeln, die ebenso kriminell sind und gegen ihren Status verstoßen.
Trotzdem bleibt Corleone weiterhin ein Mörder und es bleibt Mario Puzo hoch anzurechnen, dass er das gekonnt verschleiert. Es entsteht kein Überdruss, weil die Eigenschaften des Mafiosi überwiegen. »Diese Werte scheinen in der fiktiven Darstellung immer wieder das Gefühl zu erwecken, bestialische Morde an denen, die sich nicht an das „erstrebenswerte“ Ideal halten, seien auf perverse Weise gerechtfertigt«, zeigt Daniel Bittmann in seinem Beitrag ein einleuchtendes Beispiel für solche Rechtfertigungen auf.
Und sonst? Mario Puzo erzählt in einer flüssigen Sprache und generiert auch dank der Dramaturgie einen Pageturner. Er erschafft neben dem Don originelle Gestalten wie Johnny Fontane, der in Hollywood operiert und kritisiert damit den Kapitalismus dort. Die Frauen im Roman nehmen eine untergeordnete Position ein, sind z.T. Lustobjekte, die nicht eingebunden werden, sondern in konservative Rollen schlüpfen und im Geschäft nichts verloren haben, ihre Männer trotzallem decken müssen. Ferner gibt es immer wieder Rückblenden, in denen deutlich gemacht wird, auf welchem Wege der Don zu seinem Standing gekommen ist.
Muss es gelesen werden, wenn die Filme bereits bekannt sind? Kurz und knapp: ja! Zwar schwirren immer wieder beim Rezipieren der Vorlage Marlon Brando und der junge Al Pacino vor den Augen, Mario Puzos Roman bringt die Geschichte aber noch mal auf ein anderes Level. Selbst nach über 40 Jahren nach Veröffentlichung ein zuverlässiges Amüsement. Wer feinste Unterhaltung sucht, der findet sie hier. Mario Puzo offeriert ein ausgezeichnetes Vergnügen und bietet damit ein Angebot, dass ohne Frage so nicht abgelehnt werden kann.
[Buchinformationen:
Was für eine wahnsinnig tolle Rezension, puh, nun werd ich mich dem lieben Paten wohl endgültig nicht mehr entziehen können 🙂 Seit Jahren schleiche ich drum herum und konnte mich nie ganz dazu durchringen, obwohl ich eine geheime Liebe zu derlei Werken hege! Danke für diese tolle Kritik!!
Jaaa, unbedingt. Habe ihn auch lange vor mich hin geschoben und war äußerst erfreut den Roman gelesen zu haben. Macht man kein Fehler mit – besonders wenn man auf solchen Stoff steht 😉
😀 das ist gut zu wissen 😀 wird meine Sommerlektüre!
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