Der Erste Weltkrieg begann 1914 und jährt sich damit in diesem Jahr zum 100. Mal. Nicht verwunderlich also, dass der Literaturbetrieb sich ebenso diesem Thema widmet. Ausgaben von zum Beispiel Christopher Clark (»Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog«) oder Herfried Münkler (»Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918«) platzieren sich auf der Spiegel-Bestseller-Liste der Sachbücher. Auch Lit-Blogs wie unter anderem Kaffeehaussitzer beschäftigen sich mit dem Konflikt, bei dem 17 Millionen Menschen umkamen.
In meinem Fall habe ich mich dem Graphic Novel »Grabenkrieg« auseinandergesetzt, das der Franzose Jacques Tardi konzipiert hat. »Grabenkrieg« erschien erstmals 1993 und 2002 in einer deutschen Fassung. Die zweite Auflage des ›Antikriegs-Meisterstücks‹ steht seit Januar 2014 in den Läden und wird über Edition Moderne verlegt.
Die Panels im »Grabenkrieg«, der seit drei Jahren andauert, sind ausnahmslos in schwarz-weiß gehalten. Tadi betont, dass es sich um kein Werk eines Historikers handelt. Auch Hauptfiguren sucht man vergebens, dafür sind »Abfolge einzelner Situationen, die von Männern erlebt wurden, die im Schlamm festsaßen und sich in ihrer Haut sichtlich nicht wohlfühlten, die manipuliert wurden und nur eine Hoffnung hatten, nämlich die nächste Stunde zu überleben, die sich nichts sehnlichster wünschten, als wieder nach Hause zu kommen, kurz, dass der Krieg aufhört« zu sehen. Die Geschichte von Tardis Großvater über den Ersten Weltkrieg habe ihn zudem bewegt, über diesen schrecklichen Auftakt des 20. Jahrhunderts zu berichten. Ihm zur Seite stand auch der Historiker Jean-Pierre Verney. Als Quellen dienten zahlreiche Filme wie »Paths of Glory«/»Wege zum Ruhm« (Stanley Kubrick), »Westfront 1918« (G.W. Pabst) oder Bücher wie »In Stahlgewittern« (Ernst Jünger), »Im Westen nichts Neues« (Erich Maria Remarque) oder »A Farewell to Arms«/»In einem andern Land« (Ernest Hemingway).
Tardi fokussiert sich auf die französische Seite, die Deutschen werden als ›Boches‹ tituliert und richtet sein Werkzeug besonders auf den ›einfachen Mann‹, der sein Leben, das fortan nicht mehr das Mindeste wert ist, für eine Auseinandersetzung hergibt. Das in den Gräben, wo Ratten sich tummeln, es nach Verwesung und Kadaver riecht, nicht mehr mit Patriotismus verbunden werden kann. Zwischen den Stellungen befindet sich das Niemandsland, das mit Stacheldraht umzogen ist. Zerfledderte Leichen, schreiende Halbtote, herausragende Gedärme, Körperfetzen. Wer sich in dieses Gebiet begibt, hat von vornherein verloren. Muss mit seinem Leben büßen. Das zeigt der Charakter Binet, der dort einen Kollegen sucht und selbst umkommt.
Weitere Einzelschicksale: Jean Desbois und seine dritte Kompanie werden extra von der eigenen Artillerie beschossen. Sie sollen sich nicht zurückziehen, werden angestachelt, die feindliche Linie zu erobern, verstecken sich aber. Das führt dazu, dass sie später vor das Kriegsgericht geführt werden. Für die Feigheit und Tatenlosigkeit der Einheit werden drei Männer, darunter Desbois, auserwählt. Stellvertretend für die Kompanie werden sie hingerichtet. Ein Anderer, Sufflot, näht sich mit einer Nadel Essensreste unter die Haut, die sich dadurch entzünden soll. Zwar amputiert man ihm den Arm, aber durch diese Aktion rettet er sich. Wird für untauglich erklärt und entlassen. Dagegen versuchen Mazure und Werner, die sich in einem Keller begegnen, eine deutsch-französische Kooperation anzustreben. Je nachdem wer sie aufliest, soll der eine den anderen als Gefangenen vorstellen und dabei zum Helden werden. Das Ende der Geschichte: beide werden erschossen.
Es sind Abbildungen und Geschichten wie diese, die immer wieder aufs Neue den Befund darlegen, wie sinnlos ein derartiger Krieg wirkt. Die Beteiligten werden zu Fliegen, die mit einer einzigen, weniger komplexen Bewegung ausgelöscht sind. Zack. Nicht mal eine Sekunde vergeht. Peng. Der Nächste. Und nach dem Nächsten kommt wieder ein Nächster, der unmittelbar danach ausgetauscht werden kann – wie ein Objekt, wie eine Zielscheibe. Die Ausmaße:
Wenn alle französischen Kriegstoten am 14. Juli in Viererreihen vorbeimarschierten, dauerte es nicht weniger als 6 Tage und 5 Nächte, bis der letzte uns sein bleiches Gesicht gezeigt hätte. […] 330.000.000m² Erde wären nötig, um die Gräben auf einer Länge von 780km Front zuzuschütten. (S. 110)
Jacques Tardi dokumentiert in »Grabenkrieg« realistisch den Ersten Weltkrieg. Seine Motive sind nicht politischer Natur, sein Vorhaben, einzelne Soldaten – und damit Opfer – wirkungsvoll darzustellen, gelingt ihm mit einer Intensität, die weh tut wie ein Aufwärtshaken. Der Franzose hellt nichts auf, entgegnet mehr mit Brutalität. Wenn Menschen mit dem Rücken zur Wand stehen, nicht mehr freie Entscheidungen treffen, wahllosen Eliminationen ausgesetzt sind, dann heißt es: Krieg. Das zeigt Tardi schmerzhaft.
[Buchinformationen: Tardi, Jacques (2014): Grabenkrieg. Edition Moderne. 2. Auflage. Aus dem Französischen von Michael Hein. Titel der Originalausgabe: C’était la guerre des tranchées (1993). 128 Seiten. ISBN: 978-3-03731-118-9]
Puh, ..das klingt wirklich hart. Danke für diese Besprechung! (Ich hänge gerade noch an der Vorstellung, wie man sich Essensreste unter die Haut näht ..)
Absolut! Es ist grausam!
PS: Hier gibt es übrigens noch eine Leseprobe.
Aha, Du bist also nach wie vor mit Graphic Novels beschäftigt. Mit Tardi hast Du Dir wohl einen der ganz großen Zeichner vorgenommen. Auch von mir Danke für die Besprechung.
Jupp, und ich werde es fortan auch etwas länger tun 🙂
Ansonsten: bitte, sehr gerne.
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