Nach dem Entdecken der »Maus« von Art Spiegelmann keimte die Neigung auf, noch weiter in das Genre der Graphic Novels einzutauchen. Insbesondere da ich neuerdings bemerkte, dass immer mehr Kreative klassische Literatur durch diese Kunstform anderes aufbereiten. So widmeten sich Eric Corbeyran und Richard Horne der Erzählung Franz Kafkas »Die Verwandlung«.
Vorab erwähnt: Kafkas Original habe ich (noch) nicht gelesen (jaja ich weiß sollte ich tunlichst machen). Deswegen erscheint es schwierig, zu untersuchen, wie viel diese Adaption vom ursprünglichen Plot geändert hat. Das Ungeziefer, in das der Protagonist transformiert wird, haben die Zeichner zumindest als Schabe abgebildet. Kafka ließ, glaub ich, offen um welches Insekt es sich handle.
Als Gregor Samsa eines Morgens erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.
Gregor Samsa ist eigentlich vorher ein Homo sapiens und zwar ein tüchtiger gewesen. Als Handelsreisender und Alleinversorger hat er versucht seine Familie, bestehend aus dem alternden Vater, der kranken Mutter und der kindhaften Schwester, über Wasser zu halten. Bis er dann eben zum Tier geworden ist.
Was sich für ihn erst anfühlt wie eine Krankheit, ist aber eine Umformung. Anfangs kann Gregor noch sprechen, nach und nach muss er auf diesen Akt der Kommunikation verzichten. Seine Familie erkennt ihn zwar, weiß, dass es sich um den einstigen Gregor handelt, dessen Seele sich irgendwo in der Hülle des Biestes versteckt. Der Vater empfindet lediglich Abscheu, die Mutter kann sich nicht mit dem Gedanken anfreunden und aus der Schwester, die ihm anfangs noch unter die Arme Fühler greift, ihn mit Essensresten füttert, wird die Person, die attestiert, die Schabe eliminieren zu müssen, um wieder ein geregeltes, normales Leben führen zu können.
Während Gregor immer mehr aus der menschlichen Welt ausscheidet und sich der tierischen heimisch fühlt, sind es zumindest die Gedankengänge, die daran erinnern, dass er tatsächlich doch einst eine Person war. Gregors Lage spitzt sich immer deutlicher zu. Gänzlich entscheiden sich die Samas, ihn abzustoßen und merken, dass sie sich selbst einer Verwandlung vollzogen haben. Allesamt können sie doch arbeiten und erfreuen sich neuen Lebensmutes.
In dieser illustrierten Erzählung sind die Bilder überwiegend dunkel gehalten, was seine Wirkung nicht verfehlt. Das Szenario wirkt schummrig und düster. Ergo, voll und ganz kafkaesk. Beklemmend und ausweglos wurde das Zimmer, Rückzugsort der Schabe, dokumentiert. Samt aller Einzelteile, die unheimlich präzise gezeichnet sind, zeigt sich die scheußliche Kreatur in all ihren Facetten. Dem Rezipienten soll verdeutlicht werden, welche Unappetitlichkeit sie auszulösen vermag.
Wieder zeigt sich: Graphic Novel braucht sich nicht verstecken und kann durchaus als innovatives, etwas anderes Produkt gesehen werden. Es vergegenwärtigt sich, dass dieses Verbinden zweier Medien überaus funktioniert. Corbeyran und Horne haben etwas entwickelt – und das zudem überaus gelungen –, was die breitere Masse ansprechen kann, die davon Abstand nimmt, zu Kafka und sperrigen Konsorten zu greifen.
[Buchinformationen: Corbeyran, Eric/Horne, Richard (2010): Die Verwandlung von Franz Kafka. Knesebeck Verlag. Titel der Originalausgabe: La Métamorphose (2009). 48 Seiten mit 100 Illustrationen. ISBN 978-3-86873-266-5]
gregor samsa, der sich in ein insekt verwandelt hat, leidet sehr unter seiner verwandlung. aber sie ermöglicht ihm auch etwas: zu sehen, wer seine familie „eigentlich“ ist. und das ist ein weiteres drama: zu erkennen, was er über sie bislang dachte und annahm und das, im vergleich dazu, wie sie wirklich sind. das original lohnt sich zu lesen, definitiv. es ist beklemmend, nahe gehend, auf eine art verstörend.
danke für den hinweis auf diese graphic novel. franz kafkas weltliteratur ist einfach zeitlos.
Ich kann Dir nur zustimmen, wenn Du schreibst: “ Graphic Novel braucht sich nicht verstecken und kann durchaus als innovatives, etwas anderes Produkt gesehen werden. Es vergegenwärtigt sich, dass dieses Verbinden zweier Medien überaus funktioniert.“
Ich lese und betrachte momentan die Lebensgeschichte Kafkas („Kafka“) von David Zane Mairowitz & Robert Crumb. Diese Graphic Novel (die ich in Kürze in DruckSchrift vorstellen werde) ist eine wunderbare Einführung in Leben und Werk dieses bedeutenden Autors. Und es gibt noch viel anderes Interessantes zu entdecken…
Vielen Dank für deine Anmerkung. Betrete ja gewisser Weise Neuland, was die Graphic Novels angeht und bin schon auf deine Besprechung von Kafkas Lebensgeschichte gespannt. Meine mich erinnern zu können, dass ich das im Laden mal in der Hand hatte.
Mal schauen, welche Graphic Novels mich darüber hinaus begeistern werden. Motivation ist hoch, sich weiter mit ihnen zu beschäftigen.
der vergleich wäre jetzt schon interessant zur erzählung, die ich im letzten frühjahr gelesen habe… ob so ein vielschichtiges werk bei der umsetzung in eine graphic novel „verliert“ oder andere schwerpunkte bekommt?
lg
fs
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