Alina Bronsky – Nenn mich einfach Superheld

Alina Bronsky - Nenn mich einfach SuperheldNiemals hätte ich reingeguckt. »Wendy«, Chick-Lit, rosa. Gender und so. Wenn das Wörtchen Wenn nicht wäre… Denn wenn Alina Bronsky, die mich mit ihrem Debüt »Scherbenpark« (2008) bereits begeistert hat, als Autorin auf dem Buchdeckel angegeben ist, macht es die Sache schon ganz anders. Dank dieser Vorschusslorbeeren kann ich darüber hinwegsehen, dass das Cover so aussieht, wie es aussieht: girliehaft.

Ein Rottweiler hat den einst so hübschen Teenager Marek entstellt. Seit diesem Vorfall zieht er sich zurück. Bricht jeglichen Kontakt mit der Außenwelt ab. Wandert nur noch getarnt mit einer Sonnenbrille durch den Alltag. Hat allen Lebensfrohsinn und den Antrieb verloren. Dann gerät seine Welt doch etwas aus den Fugen, als er sich unwissend einer Selbsthilfegruppe anschließt. Dort verliebt sich Marek in Janne, die an ihren Rollstuhl gefesselt ist, und lernt plötzlich neue Freunde kennen. Doch der Weg bis zur Kameradschaft ist lang. Vorher bekommt er noch von einem Blinden auf die Mütze und reibt durch seine Skepsis Menschen weiter Vorurteile unter die Nase.

Der Leiter der »Truppe Krüppel und Geistesgestörter«, der Guru, plant mit den sechs Teilnehmern, vom Transsexuellen bis Beinamputierten ist alles dabei, eine Reise in die Walachei, einem Dorf in Mecklenburg, die er zusätzlich mit einer Kamera dokumentieren will. »Einer für alle, alle für einen. Ich wollte das nicht. Nicht mit ihnen und mit irgendwem sonst«, so Marek. Dort passieren so manche Vorfälle. Sogar von einer Polizeistation muss der Guru Marek und Co abholen. Als Marek dann eine Nachricht erhält, dass sein Vater gestorben ist, den er jahrelang nicht mehr gesehen hat, muss er vorzeitig abreisen. Es beginnt der zweite Teil des Buches.

Marek lernt seinen kleinen Halbbruder Ferdi kennen und die ukrainische Witwe mit dem großen Busen, Tamara, für die der Papa seine Mama einst verließ. Bei den Vorbereitungen macht Marek einen Prozess durch. Er wirft seinen Mantel der Ignoranz ab und fängt langsam wieder an, zu leben. Fortan wird seine Mutter statt mit dem Vornamen (Claudia) mit Mama angesprochen. Er zeigt Nächstenliebe und Mitgefühl statt Selbstmitleid. »[…] plötzlich dachte ich zum ersten Mal in meinem Leben, dass der Mensch mehr war als eine Hülle.«

Alina Bronsky macht aus den Jugendlichen mit Handicaps Normalos samt Ecken und Kanten, und unterfüttert das mit Humor. Die Sticheleien über die jeweiligen Behinderungen, die politisch inkorrekt sind, sind zwar schwarz wie Kaffee, wirken aber keineswegs deplatziert. Es ist ein Schrei, eine Aufforderung sie gefälligst nicht auf ihre Makel zu reduzieren, sie trotz dem Äußeren möglichst nicht anderswie zu behandeln – Inklusion.

An keiner Stelle driftet Bronsky ins Larmoyante ab, wobei die Stoffe Tod sowie Behinderung sie dahin bewegt hätten können und das macht die Stärke dieses Buches aus. Das nicht rührselig und traurig ist, sondern mit unerbittlicher Komik überzeugt. Das zum Schmunzeln einlädt, ohne Schamesröte zu verbreiten. Bis auf die Szenen als Marek von seiner Stiefmutter  vernascht wird – getreu dem Klischee – wirkt »Nenn mich einfach Superheld« nur in der zweiten Hälfte etwas übertrieben. Gekonnt lässt die Autorin offen, wie schwer die Gesichtsverletzungen von Marek wirklich sind. Darüber gibt es keine ausgiebigen Infos. Es kann angenommen werden, dass er sich alleine nur als das Monster sieht, das er womöglich gar nicht ist.

»Nenn mich einfach Superheld« ist ein wundervoll herzhafter Roman, der dann glänzt, wenn es unangenehm wird. Alina Bronsky schafft den Spagat. Im Rampenlicht stehende gekränkte, sensible Figuren nicht zu beschränken. Sie stattdessen mit ihren Pannen kühn abzubilden. In Anbetracht des Covers auch ein Buch für männliche Artgenossen, die keine Verlegenheit aufkommen lassen brauchen, wenn ihre besonders maskulinen Jungs ihnen beim Lesen über die Schulter schauen.

[Anmerkung: Ein interessantes Interview mit Alina Bronsky ist hier zu finden.]

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5 thoughts on “Alina Bronsky – Nenn mich einfach Superheld

  1. Ich dachte zuerst, ich hätte mich verirrt, als ich das Buchcover auf Deinem Blog erblickte. Ich danke jedenfalls herzlich für die Rosa-Entwarnung und den Lektüretipp! 🙂

    • Wie bereits festgehalten, das Cover ist unglücklich gewählt und sicherlich mMn nicht verkaufsfördernd, weil es sich weniger an die breite Masse richtet. Sich automatisch in eine bestimmte Sparte einsortieren lässt. Da hätte man etwas mehr marketingtechnisches Fingerspitzengefühl bei der Auswahl der Illustration bewahren sollen. 😉 Aber vielleicht soll es auch tatsächlich speziell die Zielgruppe, die sich mehr mit Lit-Chick usw. beschäftigt, ansprechen.

  2. Pingback: (Die Sonntagsleserin) KW #01 – Januar 2014 | Bücherphilosophin.

  3. Pingback: (Montagsfrage) Haben dich deine Lieblingsautoren schon mal enttäuscht? | Bücherphilosophin.

  4. Pingback: Bronsky, Alina: Nenn mich einfach Superheld [Rezension]

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