Mit Literatur aus den Staaten habe ich im Normalfall häufig Probleme – ich greife ungern zu Amis. Zu fremd ist die von ihnen dargestellte, gar nicht meine Welt. Neulich jedoch, da wurde ich richtig angesprochen. Wir schauten »Capote« mit Philip Seymour Hoffman in der Hauptrolle und der Streifen zeigte, wie Truman seinen Tatsachenroman »Kaltblütig« schrieb. Gleich am nächsten Tag schnappte ich dieses »New Journalism«-Werk, das ich mal aufm Flohmarkt erworben habe – und hörte nicht mehr auf.
Erstaunlich ist, wie Capote die Ereignisse rekonstruiert. Erstaunlich, wie er mit der Recherche (vier Jahre soll sie gedauert haben) zeigt, zu was Texte fähig sein können – oder speziell der Journalismus kann. Zum Plot: Zwei Verbrecher killen durch Kopfschüsse eine harmlose Familie in ihrem Heim, die sie eigentlich nur ausrauben wollen. Beide flüchten anschließend und die Ermittler haben überhaupt keine Spur, stochern im Nebel. Capote lässt zwei Stränge nebeneinander laufen. Hier die Opfer, dort die Täter und irgendwann treffen sich beide Parteien. Danach versucht er, zu erklären, wie und warum solche Morde geschehen können, beschreibt die Situation in der provinziellen Stadt. Zeigt, wie die Cops an das Duo geraten und das Ende: die Todesstrafe durch den »Ritt auf der großen Schaukel«. All das ist spannend wie ein Thriller, nur wahrheitsgemäßer, mit einer Reportage zu vergleichen, weil wirklich oder so ähnlich geschehen (Fiktionalität vs. Faktualität).
Der »ermittelnde Autor« Capote scheint bei seinen Befragungen und zahlreichen Interviews tief gebohrt zu haben. Er legt offen, was sich hinter der Hülle verbirgt und das ist das, was dieses rasante, umfassende Buch ausmacht. Der Leser könnte irgendwann Verständnis für den Mörder, Außenseiter und seine Rache aufbringen. Denn das Verbrechen wird als ein »psychologischer Unfall« bewertet, als ein »Akt, der im Grunde genommen mit den Opfern nichts direkt zu tun hatte«. »Kaltblütig« – ein Unikat!
[Buchausgabe: Capote, Truman (1966): Kaltblütig. Wahrheitsgemäßer Bericht über einen mehrfachen Mord und seine Folgen. Aus dem Amerikanischen von Kurt Heinrich Hansen. Titel der Originalausgabe: In Cold Blood (1965)]
Film-Trailer:
Den Film fand ich sehr gut damals, vor allem Hoffmann spielt Capote als hätte er ihn inhaliert. Besonders im Original ist seine Präsenz atemberaubend.
Das Buch selber nahm ich zwiespältig auf. Der Fall selbst war sehr gut geschrieben und nahm mir den Aten. Der Gerichtsfall danach und das Ziehen der Todesstrafe fand ich dagegen im Film stringenter umgesetzt.
Hier meine Rezension dazu:
https://lesenmachtgluecklich.wordpress.com/2014/02/26/truman-capote-kaltblutig/
Obwohl ich von ihm nur einige kurze Geschichten kenne, ist Capote einer meiner Lieblingsautoren von überm großen Teich. Eine heißt sogar Weihnachtserinnerungen über einen kleinen Jungen und seine wunderliche Tante. Diese Geschichte ist wirklich hinreißend. Es ist schon toll, wie er mit Sprache zaubert.
Das Buch habe ich auch noch hier liegen und wollte es nach dem Film auch sofort lesen. Tja, wollte… . Danke, dass du mich daran erinnerst.
So fremd ist die Welt der Amerikaner? Kann ich gar nicht nachvollziehen. Versuch es einfach mal mit einer Riesen-Protion Popkorn, Eis und einer Sitcom;)
Sitcoms? Ich lese lieber Bücher! 😛
Kaltblütig erschien in der Reihe „ex libris“ zu DDR-Zeiten in den 80ern – da hab ichs gelesen und fand es toll.
Als Einstieg in gute amerikanische Literatur würde ich allerdings eher Kerouac’s „On the road“ empfehlen.
Oder eben Jon Casey „Der Traum des Dick Pierce“