Lis Künzli (Hrsg.) – Hotels – Ein literarischer Führer

Aus dem Koffer leben. Zahlreiche Literaten haben genau das geliebt oder mussten dies gezwungenermaßen derartig praktizieren. Lis Künzli hat einen literarischen Reiseführer der besonderen Art angefertigt und widmet sich zahlreichen Hotels, in denen Autoren gehaust oder geschrieben haben. 62 Resorts stellt die Herausgeberin mit Bildern, Adressen und Übernachtungspreisen vor und verbindet sie neben eigenen Einführungen mit Texten der Schriftsteller oder Zeugen. Dieser Überblick lohnt!

Lis Künzli (Hrsg.) – Hotels – Ein literarischer FührerEtliche bedeutende Werke wurden in Hotels geschrieben. Robert Musil verfasste »Der Mann ohne Eigenschaften« unter anderem im österreichischen Ötz, genauer im Posthotel Kassl. Vladimir Nabokov lebte von 1961 bis zu seinem Tod 1977 im Le Montreaux Palace (Schweiz). Dort entstand ebenso »Ada oder das Verlangen« (1969). Hotels dienten nicht zur Produktion von Literatur, vereinzelt flossen sie gar in gewisse Werke ein, manifestierten sich als Inspiration und wurden zu literarischen Schauplätzen – Realität trifft Fiktion. Hermann Hesses Roman »Kurgast« (1925), in dem er ein unsichtbares Orchester, das sich in einem Hotelzimmer verbirgt, die unbekannten, unerklärlichen Geräusche und geisterhafte Laute erwähnt, spielt im Badhotel Verenahof  (Baden). Das im polnischen Łódź stehende Hotel Savoy wird zum Handlungsort in Joseph Roths gleichnamigen Roman (1924), genau wie das Hotel Villa Post (Vulpera/Schweiz) in Friedrich Dürrenmatts letztem Roman »Durcheinandertal« (1989).

Überhaupt wird durch diese Anthologie deutlich, welche Nomadenleben manche Autoren führten. Das 19. Jahrhundert glich, noch weit entfernt von einer Globalisierung, einer Ära des Reisens und folglich der Reiseliteratur, wodurch sich so einige wie Mark Twain auf den Weg machten. Und das 20. Jahrhundert samt den beiden Weltkriegen zwang Literaten wie James Joyce, die Manns oder Joseph Roth zur Flucht. So schrieben Klaus und Erika Mann im Hotel Bedford (New York) ein Auftragswerk namens »Escape to Life« über die deutsche Emigration, als es den Antifaschisten spätestens gegen Ende der dreißiger Jahre an den Kragen ging. Joseph Roth war ohnehin ein selbsternannter Hotelbürger und Hotelpatriot, der fast nie Geld hatte, dafür im Pariser Lieblingshotel Foyet kostenlos unterkommen durfte. Der nach dem Abriss ins Hotel Le Tournon umzog, wo die Wirtin zu einer Vertrauten und »Beschützerin« wurde und wo er 1939 seinen letzten Zusammenbruch erlitt. Der auch mal wie bei seiner Unterkunft im Hotel Fürstenhof (Leipzig) als Antwort auf eine ihm gewidmete Mahnung antwortete: »Adressat nach Kairo abgereist. Adresse unbekannt.«

Erwähnenswert wäre da noch der wunderbare Text des Niederländers Cees Nooteboom, der sein halbes Leben lang gereist ist und etliche Zimmer bewohnte. In seinem Buch »Nootebooms Hotel« (2000), das ein Sammelsurium aus den schönsten Hotels aller Kontinente bildet, hielt er Folgendes fest: Ihm gefalle der Geruch vergangener Zeiten, was Hotels gemeinsam hätten. Sowie altmodische Wasserhähne, die nicht immer funktionieren, die Portiers, die man sich als Vater gewünscht hätte, die Farben, die nicht mehr als modern gelten, zum Teil abblättern und »die Spuren Hunderttausender von entschwundenen Schuhen im Gewebe der Teppiche.« Auch nimmt er sich die Spiegel vor. Laut seiner Rechnung hätten mehr als 50.000 Menschen sein Zimmer im Ritz (Barcelona), in dem er diesen Text schrieb, seit der Erbauung bevölkert. »Statistisch gesprochen, dürfte dieser Spiegel also einiges gespiegelt haben, doch er schweigt wie das Grab, in dem bereits so viele jener Gäste verschwunden sind.« Und dann wird er noch etwas mystischer: »Manchmal denke ich, dass alle Zimmernummern aller Hotels, in denen ich in meinem Leben gewohnt habe, zusammengezählt eine kodierte Mitteilung über mein Schicksal und mein Wesen enthalten, doch diese kabbalistische Zahl, die es ja geben muss, werde ich nie kennen, da ich die Nummern nicht notiert habe. Unglaube rächt sich.«

Eine weitere »literarische Sehenswürdigkeit« ist das Plaza in der Big City of Dreams stehend, wo sich John Dos Passos, Zelda und F. Scott Fitzgerald tummelten. Truman Capote lud 1966 sechshundert Freunde dorthin zum Schwarz-Weiß-Maskenball ein, um den Erfolg seines Romans »Kaltblütig« ausgiebig zu feiern. Hin und wieder erfährt man ebenso Banales wie von Thomas Mann, der als Stammgast im Neuen Waldhotel (Arosa/Schweiz) in seinem Tagebuch Beifall für »das hier so gute Grahambrötchen mit Honig« spendete. Ansonsten kann man diesen informativen Reiseführer, der wohl nur noch gebraucht erhältlich ist, häppchenweise verdammt prima vertilgen, wie ein gutes Grahambrötchen eben.

[Buchinformationen: Künzli, Lis (2007): Hotels. Ein literarischer Führer. Eichborn Verlag. 192 Seiten. ISBN-13: 978-3821807317]

[Lis Künzli hat übrigens noch einen weiteren literarischen Führer herausgegeben, der sich wiederum mit Bahnhöfen beschäftigt. Vielleicht stelle ich diesen bei Gelegenheit ebenfalls mal vor.]

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10 thoughts on “Lis Künzli (Hrsg.) – Hotels – Ein literarischer Führer

  1. Das ist ein Beitrag ganz nach meinem Geschmack. Neulich linste ich in das Hotel Elephant in Weimar, das allein wegen Thomas Mann wieder eröffnet wurde. Über die Bahnhofs- Geschichten würde ich mich hier sehr freuen!

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