Jeffrey Archers „Kain und Abel“ („Kane and Abel“) oder „Der Aufstieg“ („As the Crow Flies“). Familienchroniken, die unter die Haut gingen. Schlaflose Nächte bereiteten. „Archer ist wahrscheinlich der beste Geschichtenerzähler unserer Zeiten“, lässt die Mail on Sunday verlauten. Obwohl nur ein Boulevardblatt, steckt ein Fünkchen Wahrheit drin – trotz des Superlativs. Wie kaum ein Zweiter baut Archer parallele Geschichten sowie Handlungsstränge von Protagonisten auf, die sich irgendwann in ihrem Leben kurioserweise begegnen, gar gegeneinander agieren.
So beginnt auch die „Die Kandidaten“ („Sons of Fortune“), wobei ein bisschen mehr Innovation gefragt wäre und alles an einen schlechten B-Movie erinnert. Nat und Fletcher sind zweieiige Zwillinge, werden aber bei der Geburt durch eine Hebamme gewollt getrennt. Es ist ja bekanntlich ein Rätsel für die Wissenschaft, wie es möglich ist, dass getrennt aufwachsende Zwillingspaare so viele Gemeinsamkeiten haben. Genau diesen Aspekt greift Archer auf.
Nat und Fletcher ähneln sich in ihren Lebensläufen sehr. Beide sind höchst intelligent und intellektuell. Schließen ihre akademische Ausbildung mit Bestnoten ab. Heiraten früh. Versuchen sich in der Schul- und Hochschulpolitik. Beide sind zielstrebig. Feiern Erfolge und duellieren sich unter anderem mit dem gleichen Antagonisten. Ansonsten laufen sich die beiden Brüder kaum über den Weg, erst als beide zur Wahl des Gouverneurs von Connecticut antreten und am Ende ihr wohlgehütetes Geheimnis zufällig entdecken.
Die Story trudelt die ganze Zeit vor sich hin. Das gleiche Paar läuft manchmal über Stock und über Stein. Muss Hindernisse bewältigen. Auf den ganz großen Knall wartet man in fast jedem Kapitel jedoch vergeblich. Archer führt beide irgendwann gutmütig zusammen und am Ende riecht alles nach Friede, Freude, Eierkuchen.
Das Problem daran, dass der Plot doch ziemlich vorausschauend ist, der Klappentext und Titel eventuell anders hätten gewählt werden müssen. Darüber hinaus lassen sich gleiche Themen zu Archers früheren Romanen finden. Der Kampf um die Aktienmehrheit eines Unternehmen („Kain und Abel“), die Kandidatur für ein hohes politisches Amt („Abels Tochter“), die Liebe zu Gemälden („Die Farbe der Gier“). Letzteres wird nur kurz erwähnt, ist offensichtlich aber für den Kontext absolut unwichtig.
Wie jeder Bestseller-Autor hat auch der Brite Archer seine Höhen und Tiefen. „Die Kandidaten“ lässt sich irgendwo in der Mitte davon einordnen. Es schreit nach einer intensiveren Ausarbeitung der Hauptpersonen. Sie sind derweil ein wenig fahl und nur irgendwelche gute Gemüter ohne Macken, Ecken, Kanten. Komplett einschläfernd ist das alles nicht, jedoch auch keineswegs etwas, was lange im Gedächtnis bleibt.