Diese ganzen Gangster-Geschichten, die sich im vergangenen Jahrhundert abspielen, sind absolut mein Ding. Egal, ob sie nun filmisch oder literarisch dargestellt sind, für mich sind sie oft ein Genuss. Die Atmosphäre muss dabei stimmen. Sie muss mir die Möglichkeit bieten, den Geruch der Straße aufzusaugen, mich in diese Zeit versetzen zu können. Umso mehr geriet ich in Freudentaumel, als ich erfuhr, dass es sich bei »In der Nacht« um Mafia und Clans dreht. Zuvor hat sich der Bostoner Dennis Lehane bereits einen Namen gemacht: »Spur der Wölfe« (2001) verkörperte die Romanvorlage für Clint Eastwoods Film »Mystic River«, ebenso basiert Martin Scorseses und Leonardo DiCaprios »Shutter Island« auf den gleichnamigen Roman (2003). Und auch die Adaption von »In der Nacht« (ausgezeichnet mit dem Edgar Allan Poe Award) soll 2015 auf die Leinwände kommen. Ben Affleck wird auf dem Regiestuhl sitzen und DiCaprio produzieren.
Die USA zur Zeit der Prohibition: Joe Coughlin ist in Boston noch ein kleiner Fisch zwischen all den großen Haien. Mit kriminellen Gelegenheitsjobs verdient er sich seine Brötchen, kommt dann allerdings in die Bredouille, weil er sich in Emma Gould verliebt, die eigentlich das Mädchen des anerkannten und gefürchteten Gangsters Albert White ist. Gemeinsam mit zwei seiner Kollegen, die er schon von Kindesbeinen an kennt, will Joe das letzte, große Ding drehen – ein Banküberfall soll dafür sorgen, dass er mit Emma durchbrennen kann. Doch das Trio wird verraten, der Plan geht schief, es sterben Polizisten und Albert will ihm auch noch den Garaus machen, weil er verbotenerweise und ohne ihn zu informieren den Raub durchgeführt hat. Im letzten Moment schneit die Polizei ein und schlägt Albert in die Flucht. Der verletzte Joe kommt mit einem blauen Auge davon, auch weil sein irisch-stämmiger Vater ein hochrangiger und gleichzeitig korrupter Polizeibeamter ist. Auch weil er den Richter schmieren kann, der folglich Joes Strafmaß auf zwei Jahre mildert.
Im harten Knast-Alltag nimmt ihn ein gewisser Maso unter die Fittiche, der hinter den Gefängnismauern die Fäden zieht und von dort aus seinen Geschäften nachgeht. Joe muss sich einigen Prüfungen stellen, ist hinterher für Maso aber deswegen so wichtig, weil er dadurch Joes Vater kontrollieren kann, der einige kriminelle Konkurrenten hochnehmen soll. Nach einigen Schwierigkeiten und Rückschlägen darf Joe die schwedischen Gardinen vorzeitig, lebendig verlassen und soll für Maso in Ybor City (Tampa, Florida) ein Syndikat aufbauen.
Joe krempelt die Ärmel hoch, brennt dort mit seinen Leuten immer mehr Alkohol, sodass der Schmuggel floriert. Er erzielt mit seinem Rum eine Monopolstellung, hilft den dort ansässigen Kubanern gegen die Machado-Diktatur anzugehen, verbündet sich mit diesen und kommt mit der Latina Graciela zusammen. Doch trotz des Aufschwungs werden Joe ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen. »Es war ein illegales und daher zwangsläufig schmutziges Geschäft. Und schmutzige Geschäfte zogen immer Dreckskerle an. Dumpfe Hirne, tumb und brutal.« Der Ku-Klux-Klan, eine heilige Predigerin, Albert White und der habgierige Maso stellen sich ihm in den Weg.
Jede Menger anderer Typen waren härter als er, mutiger und kundiger im Umgang mit Waffen, doch in Sachen Cleverness und Köpfchen konnte er es mit jedem aufnehmen. (S. 290)
Obwohl Joe ein Krimineller durch und durch ist, umweht ihn eine Aura. Dem Protagonist, der durch seine Geschicklichkeit, Diplomatie und Konsequenz zu solch einem Ruhm gekommen ist, geht nie die Menschlichkeit ab. Im Gegensatz zu anderen Verbrechern ist Joe belesen (Dumas, Dickens, Twain, Adam Smith, Marx & Engels, Machiavelli, Bastiat) und sieht sich als keinen Gangster an, sondern als einen Gesetzlosen, was zwischenzeitlich allerdings revidiert werden muss. Damit verfolgt er anfangs eine anarchistische Einstellung und will frei von Konventionen leben: Niemand hat das Recht – schon gar nicht der Staat, über das Leben eines anderen zu bestimmen. Doch letztlich manifestiert er sich selbst zu einem, der aufgrund seines Status Urteile verhängen darf. Während andere Schurken jedoch ihren Durst nach mehr Geld nicht stillen können, handelt Joe allerdings oft nicht egoistisch, mausert sich zwischenzeitlich dennoch zum Sympathieträger des Romans.
Gangster, die mit ihren Pistolen Zucker und Sahne in den Kaffee rühren. Gangster, die durch den Kugelhagel eines Maschinengewehres den Friedhofsfoxtrott tanzen, während sie sich wie auf glühenden Kohlen die Seelen aus dem Leib husten. Gangster, die adrett gekleidet mit Hüten und maßgeschneiderten Anzügen ihrem Business nachgehen. Die Szenarien »In der Nacht« sind virtuos. Dennis Lehane schafft es zudem bei fast 600 Seiten, trotz der ganzen Klischees die Spannung stets hoch zu halten. An keiner Stelle ein Gähnen, nie Langeweile. Was will man mehr? Richtig. Nichts. Nur einen Cuba Libre und eine Zigarre dazu.
[Buchinformationen: Lehane, Dennis (Dezember 2013): In der Nacht. Diogenes Verlag. Aus dem Amerikanischen von Sky Nonhoff. Titel der Originalausgabe: Live by Night (2012). 592 Seiten. ISBN: 978-3-257-06872-6]
[Anmerkung: Weitere Rezensionen bei Analog-Lesen, CrimeNoir, Kaffeehaussitzer, Klappentexterin, Kriminalakte, My Crime Time und Zeilenkino.]
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ok das brauch ich auch, irgendwie mag ich so Gangstergeschichten von früher und dann noch das stimmungsvolle Foto von Dir, klingt verführerisch..nach abtauchen in andere Welten.