Seit jeher ziehen uns Rätsel in ihren Bann, naturwissenschaftliche, philosophische und so weiter. Die Menschheit entwickelt sich aufgrund ihrer Neugierde. Es wollen Lösungen gefunden werden, indem immer wieder neue Aufgaben gestellt werden. Unaufgeklärtes fasziniert, angetrieben durch Spekulationen, Gerüchte und Kreativität. Finden wir das Ei des Kolumbus nicht, wollen wir Aufklärung und Antwort. Auch deswegen will das mysteriöse Verbrechen des Jack the Ripper 125 Jahre später aufgedeckt werden. Immer noch wurde der perfide Mörder nicht endgültig identifiziert – was nun wohl sowieso wohl nicht mehr gelingen wird. Im November 1888 tötete er im East End von London fünf Prostituierte und verstümmelte sie. Zahlreich wurde der Aufschlitzer in Filmen, in der Literatur oder im Theater behandelt. Die Franzosen François Debois und Jean-Charles Poupard haben in ihrem Graphic Novel den Fall noch einmal aufgerollt.
Inspektor Frederick Abberline versucht mit Hilfe seiner Einheit vom Scotland Yard den Killer zu finden, der seinen Opfern nach dem Mord chirurgisch Innereien entfernt. Ihm gegenüber steht ein gewisser Lusk und seine Bürgerwehr, die Selbstjustiz praktiziert. Lusk, ein Linker und Anarchist, liefert sich ein Wettrennen mit Abberline. Seine Gefolgschaft (Männer aus der East End) ist aggressiv, wurden ihre Arbeiterproteste am Bloody Sunday doch brutal niedergeschlagen. Zwischenzeitlich gerät Abberline selbst in Verdacht. Schließlich wird entdeckt, dass ihm eine nahestehende weibliche Figur ebenso irgendwie involviert ist. Nicht ganz koscher erscheint auch ein geheimnisvoller Psychiater, Arzt der Königin und Forscher, der sich mit schizophrenem Verhalten beschäftigt. Am Ende des ersten Bandes deckt Abberline auf, das nicht nur eine Person als Jack the Ripper operiert – vielmehr handelt es sich um einen delphischen Zirkel.
In der zweiten Hälfte bekommt Abberline eine Anfrage und Einladung von dem kriminalistischen Kollegen Ambroise Meridien. In der französischen Hauptstadt scheint ein ähnlicher Typus Jack the Ripper, der als ›Baron‹ bezeichnet wird, sein Unwesen zu treiben. Hinter Meridien versteckt sich eine blonde Traumfrau mit Idealmaßen, die Abberline lediglich angelockt hat, damit er den Mörder ihrer Schwester findet. Zwischen den beiden entwickelt sich (natürlich) eine Romanze. Letztlich ist sie wie Abberline selbst (unwissend) ein Teil von Jack the Ripper und dem Inspektor fällt es wie Schuppen von den Augen, dass es Zusammenhänge zwischen London und Paris gibt.
Debois und Poupards »Jack the Ripper« ist ein bildgewaltiges, farbenfrohes Werk. Besonders die detaillierten Zeichnungen begeistern. Ebenso gelungen: die zeitgeschichtliche Einordnung. Detailliert schaffen es die Autoren den Ripper in das damalige, universelle London zu versetzen. Inspiration fanden die Künstler dafür in Filmen wie »Oliver Twist«, Guy Ritchies Sherlock Holmes, »From Hell« oder »Gangs of New York«. »Durch die amerikanischen Anleihen konnte ich den sauberen, bürgerlichen Anstrich der viktorianischen Epoche abmildern und meine Figuren in eine raue, ungepflasterte Umwelt setzen, diesem ›oh, so Britisch‹ aus dem Weg gehen«, heißt es im Nachwort.
Wie [Mathieu] Lauffray sagt, bestimmt das Storyboard den Spannungsbogen eines Comics – ein gelungenes Storyboard ist ein gelungener Comic. Dies ist die entscheidende Phase: das Layout, der Treffpunkt von Bild und Skript. Man muss den Blickwinkel sorgfältig wählen, um seine Absichten gut umzusetzen und die gewünschten Emotionen zu erregen, man muss variieren, rhythmisieren, Akzente setzen.
Tatsächlich, der Spannungsbogen kann dank des Storyboards hier als gelungen bezeichnet werden, was im Umkehrschluss auch auf den Comic zutrifft. Nicht nur, dass die Künstler mit ihrer Visualisierung für Staunen sorgen, auch der Plot beherbergt samt seinen Windungen Dramatik bis zur letzen Seite. Obwohl schon eingangs erläutert wird, dass Abberline ein Teil von Jack the Ripper ist, wartet man gebannt auf die unerwartete Entschlüsselung, wie es dazu kam. Diese erscheint zwar etwas trivial, aber kann dennoch als kreativ durch die Einbindung der Komponenten Psychologie und Hypnosedierung betrachtet werden. Die Veränderungen der Charaktere kristallisieren sich eindringlich heraus. So wird aus dem charismatischen Abberline ein verunsicherter Zweifler.
Eine furchterregende und finstere background area, gepaart mit einer ansehnlichen Farbenauswahl und einer mitreißenden Story – das macht diesen Jack the Ripper aus. Die Version von François Debois und Jean-Charles Poupard hat es in sich. Dabei ragen besonders die Zeichenfähigkeiten heraus, die noch höher anzusiedeln sind als ihre Erzählkünste.
[Buchinformationen: Debois, François (Text)/ Lopez, Guillaume (Farben)/ Poupard, Jean-Charles (Zeichnungen) (Dezember 2013): Jack the Ripper. Splitter Verlag. Aus dem Französischem von Thomas Schöner. Titel der Originalausgabe: Jack L’éventreur 1: Les liens du sang 2. Le Protocole Hypnos. 112 Seiten inkl. Bonusmaterial. ISBN: 978-3-86869-694-3]
[Anmerkung: Weitere Rezensionen bei Comicblog, Comicleser und TofuNerdpunk. Einen Besuch wert ist auch das Blog von Jean-Charles Poupard. Copyright der hier dargestellten Bilder für die deutsche Ausgabe: Splitter Verlag.]
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